Vitis vinifera: die Mutter aller europäischen Reben
Am 13. Februar 2024 · von WeinfreundeMal rein botanisch gedacht: Wie sind die uns bekannten Rebsorten einzuordnen und was für Reben gibt es sonst noch? Wir mimen den Wissenschaftler und nehmen die Art Vitis vinifera, die „Trauben tragende Rebe“, unter die Lupe.
In der Botanik muss alles seine begriffliche Ordnung haben, wenn es um Systematik und Abstammung einer Pflanze geht. Das gilt natürlich auch für die Weinrebe, denn das, was Weinfans als Erstes interessiert, nämlich die Rebsorte, ist in dieser Hinsicht nur die Oberfläche. „Cultivar“ oder eben Sorte ist die allgemeine Bezeichnung für die verschiedenen Rebsorten von A wie Albariño und Aligoté bis Z wie Zinfandel und Zweigelt.
Vitis vinifera: Die Spezies, die Trauben trägt
Über der Kategorie Sorte ist die Spezies, oder auf Deutsch „Art“, angesiedelt. Das heißt im Klartext, alle uns bekannten europäischen Rebsorten fallen unter die Art Vitis vinifera. Bei jenen, die fließend Latein sprechen, leuchten nun die Augen. Übersetzt bedeutet Vitis vinifera nämlich „Ranke, die Trauben trägt“. Was automatisch zu der Frage führt, ob es noch andere Ranken gibt, die keine Trauben tragen. Gibt es, man denke nur an den „Wilden Wein“, der sich in manchen Parks und Gärten findet. Der zählt zwar gleichfalls zur Gattung (Genus) Vitis, aber eben nicht zur Art vinifera. Die verlangt schon speziell nach jenen Trauben, die potenziell zur Weinerzeugung taugen oder als Tafeltrauben auf dem Tisch landen.
Wie viele Vitis vinifera Sorten gibt es?
Die genaue Anzahl der Vitis vinifera Sorten ist nicht bekannt. Die Schätzungen sprechen von ungefähr 10.000, wobei es vielleicht nur rund 100 Rebsorten sind, die heutzutage im internationalen Weinbau eine wahrnehmbare Rolle spielen. Gleichzeitig ist daran zu erinnern, dass Beispiele wie das Weinland Georgien zeigen, dass Vitis vinifera seit mindestens 8.000 Jahren von Menschen kultiviert, sprich zu Wein verarbeitet wird. Sicherlich nicht eine unserer schlechtesten Kulturleistungen als Spezies Mensch.
Vitis vinifera: die anderen Arten
Vitis vinifera ist quasi gleichzusetzen mit den europäischen Weinreben. Das macht anschaulich, dass es auch sogenannte Amerikaner-Reben und Asiaten-Reben gibt, die wiederum jeweils etwa 30 Arten zählen. Insbesondere die amerikanischen Reben sind für den Weinbau von großer Bedeutung. Dabei geben weniger die aromatischen Qualitäten den Ausschlag, denn als Trauben für einen Wein kommen sie zumindest in Europa kaum zum Einsatz. Wobei Ausnahmen wie der Uhudler die Regel bestätigen. Im Unterschied zu Vitis vinifera sind die Amerika-Reben nämlich gegen die Reblaus resistent. Deshalb pfropften die Weinbauern nach der großen Reblaus-Katastrophe im 19. Jahrhundert ihre edlen Sorten auf amerikanische Wurzeln, um den drohenden Untergang abzuwenden.
Blickt man nach Nordamerika oder China mögen Sorten der heimischen Reben-Art eine vereinzelte Rolle spielen. Doch letztlich sind es die internationalen Rebsorten und damit Sorten von Vitis vinifera, die selbst in diesen Weinländern den Ton angeben. Ob Cabernet Sauvignon aus Kalifornien oder aus China, Vitis vinifera ist ein echter „Globalisierer“.
Vitis vinifera: Genpool unlimited
Vitis vinifera ist zudem eine Lektion in Sachen Demut. Denn der geringste Teil der heute geschätzten 10.000 Rebsorten geht auf Menschenhand zurück. Dafür gibt es den Rebstock einfach viel zu lange. Durch natürliche Kreuzungen – die Weinrebe ist ausgesprochen promisk – vor allem aber durch natürliche Mutationen entsteht diese unglaubliche Vielfalt. Zum Beispiel sind Weißburgunder/Pinot Blanc und Grauburgunder/Pinot Gris Mutationen des Spätburgunders/Pinot Noir – keine Kreuzungen.
Dagegen sind Pinotage und Marselan oder Zweigelt und Scheurebe Kreuzungen, die in den vergangen 120 Jahren nur mit Blick auf den Weinbau entstanden sind. Bei solchen Neuzüchtungen blicken die Wissenschaftler aktuell wieder vermehrt auf die Amerika-Reben, ohne sie auf ihre Eigenschaft der Reblaus-Resistenz zu beschneiden. Im Genpool dieser Rebsorten stecken noch mehr Eigenschaften, die die Rebe robuster machen. Weniger anfällige Rebsorten benötigen etwa weniger Pflanzenschutzmittel oder weniger Wasser. Andere vertragen mehr Sonneneinstrahlung besser. Das ist ein Ansatz, den man mit den pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, kurz PIWI, verfolgt. Ein Unterfangen, das in Zeiten des Klimawandels an Bedeutung gewonnen hat und bei dem die Vielfalt der Art Vitis vinifera neue Möglichkeiten eröffnet. Der Regent ist zum Beispiel eine PIWI-Rebsorte.
Viti vinifera: Wein im Glas
Mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit handelt es sich folglich um Vitis vinifera, wenn wir uns eines Weines erfreuen. Scheint auf den ersten Blick banal, gilt auch nicht als echte Weinexpertise, aber bemerkenswert ist es doch.