Weinlese: das Finale im Weinberg
Am 21. September 2020 · von Sven ReinboldDer Sommer im Weinberg ist vorüber, die Winzer bereiten die Weinlese vor. Zu diesem so entscheidenden Ereignis nimmt uns Weinfreund Sven Reinbold noch einmal mit in den Weinberg.
Seit dem Winter verfolgen wir die Arbeiten im Weinberg und ich habe auch über die Arbeiten im Frühjahr und die Entwicklungen im Sommer berichtet. Nun, im Herbst, schließt sich der Jahreskreislauf: Die Trauben werden geerntet und treten endlich den Weg an, um im Keller zu wunderbaren Wein zu werden. Ach, wenn es nur mal so einfach wäre. Gerade bei der Weinlese sind Erfahrung und Expertise gefordert, wenn man sich beim letzten Akt im Weinberg nicht um die Früchte seiner Arbeit bringen will. Und das richtige Timing.
Allgemeinhin findet die Weinlese auf der Nordhalbkugel im September und Oktober statt. Auf der südlichen Erdhalbkugel geschieht dies in den Monaten März und April. Doch selbst auf diese grobe Terminierung ist kein Verlass mehr. Der Klimawandel zeigt auch hier seine Auswirkungen. Durch einen heißen, trockenen Sommer kann selbst in Deutschland die Weinlese teils schon im August starten.
Auf der Suche nach dem optimalen Lesezeitpunkt
Die Qualität eines Weines liegt im Wesentlichen in der Qualität der Trauben begründet. Um so mehr gilt es, auf die Trauben selbst zu achten, wenn man den besten Zeitpunkt für die Ernte bestimmt. Deshalb messen die Winzer frühzeitig und regelmäßig die Zucker- und Säurewerte, probieren die Beeren, um die aromatische Entwicklung beurteilen zu können.
Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, da die Trauben so reif sind, dass eine Lese möglich ist. Ab jetzt geht der Winzer eine Wette mit dem Wetter ein. Soll er die Lese verschieben, um den Reben noch mehr Sonne zu gönnen? Damit aber riskieren, dass der Regen ihm den Wein buchstäblich verwässert? Oder müssen die Trauben unbedingt geerntet werden, da noch mehr Sonne zu mehr Zucker und somit zu mehr Alkohol führt und die Säure gegebenenfalls wieder schwindet?
Tatsächlich gibt in südlichen Weinregionen mit heißen Sommern oftmals der Säurewert das entscheidende Kriterium ab. In Deutschland ist es dagegen der Zuckergehalt, auf den die Winzer schauen. Schließlich entscheidet das in Grad Oechsle gemessene Mostgewicht mit darüber, ob ein Kabinett, eine Aus-, Spät- oder gar Beerenlese daraus entsteht. Bei den letztgenannten deutschen Qualitätsbezeichnungen steckt die „Lese“ sogar im Namen. Somit spielt auch die angestrebte Qualitätsstufe beim Festlegen des Lesetermins eine Rolle.
Der optimale Erntezeitpunkt in Deutschland
Egal, ob Pfalz, Franken oder Mosel, die Bestimmung des idealen Erntezeitpunkts ist vielleicht die wichtigste Entscheidung eines Winzers im ganzen Jahr. Dabei gibt es nicht nur enorme Unterschiede zwischen den 13 deutschen Anbaugebieten, sondern unterscheidet sich der optimale Zeitpunkt für die Lese von Lage zu Lage, von Weinberg zu Weinberg. Zudem reift jede Rebsorte unterschiedlich schnell oder langsam aus. Rote Rebsorten benötigen im Vergleich zu Riesling und Co. immer etwas länger.
Weinlese in Deutschland: wann geht sie los?
Der anhaltende Klimawandel sorgt zusätzlich dafür, dass die Vegetationsphase in den vergangenen Jahrzehnten immer kürzer ausfällt und sich die durchschnittlichen Erntezeiträume nach vorn verschieben. Wurde früher an Saar und Mosel nicht vor Mitte Oktober geerntet, müssen Winzerinnen und Winzer mittlerweile schon im September in den Weinberg.
In wärmeren Regionen, wie etwa dem Kaiserstuhl in Baden, muss teilweise schon Ende August geerntet werden – beispielsweise im Hitzerekordjahr 2018.
Als Faustregel lässt sich für Deutschland dennoch merken, dass die Weinlese frühestens Ende August beginnt, regelmäßig im September stattfindet und nur noch selten bis in den Oktober reicht. Alles – wie gesagt – unbeachtet der Unterschiede im konkreten Anbaugebiet, in der Lage und zwischen den Rebsorten.
Rebsorte, Lage und Art des Weines entscheiden mit
Gleiches gilt auch für die Art des Weines, der hergestellt wird. Da beispielsweise bei der Herstellung von Sekt, Champagner und anderen Schaumweinen genügend Säure für gute Qualitäten unverzichtbar ist, werden die Trauben früher gelesen als jene für Stilweine. Bei Süß- oder Dessert-Weinen kommt dagegen nur eine späte Lese in Frage, um möglichst hohe Zuckerwerte zu erzielen.
Nicht zuletzt hat auch jede Rebsorte ihren eigenen Reifeprozess und damit Lesezeitpunkt. Der Name des spanischen Tempranillo wie auch des italienischen Primitivo leitet sich beispielsweise von der Eigenschaft ab, früher oder als erstes reif zu werden. Weingüter, die mehrere Rebsorten kultivieren, haben diese Unterschiede bei der Planung zu berücksichtigen. Und um es noch etwas vertrackter zu machen, selbstverständlich redet auch die Lage der Rebflächen ein Wörtchen mit. Die Ausrichtung auf die Sonne, die Höhe, aber auch der Wind … all diese Faktoren schaffen ein Mikroklima, das die Trauben dort schneller oder langsamer reifen lässt als im Weingarten nebenan.
Aber noch einmal – das Ganze ist eine Wette auf gutes Wetter. Nasses Traubenmaterial kann nicht gelesen werden und die Feuchtigkeit befördert Fäule und Pilzbefall. Zuviel Regen kann die Beeren sogar platzen lassen. Der Einsatz bei dieser Wette lautet also für den Winzer Qualitätsverlust oder Schlimmeres.
Vollernter oder ganze Handarbeit bei der Weinlese
Nun ist endlich soweit, es geht in den Weinberg zur Lese. Sie erfolgt entweder per Hand oder maschinell mit dem sogenannten Vollernter. Noch so eine Entscheidung, die mit Qualität, aber auch mit Geld zu tun hat. Am Einsatz einer modernen Vollernte-Maschine gibt es prinzipiell nichts auszusetzen. Die Trauben werden durch Schläge auf das Blätterdach abgeschüttelt, von Förderbändern aufgefangen und in einen Sammelbehälter transportiert. Und das macht die Maschine um ein vielfaches schneller als der per Hand mit Schere oder Messer operierende Lesehelfer. Zudem kann die Maschine länger am Stück arbeiten und ist stets verfügbar. Dagegen fällt es Weingütern oft schwer, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Erntehelfer an den Start zu bringen.
Ein klarer Vorteil der händischen Weinlese ist die bereits beim Schneiden vorgenommen Auswahl. Während die Maschine „blind“ erntet, kann der Erntehelfer schlechte Traube direkt aussortieren oder er lässt unreife Trauben einfach hängen. Auch der Anteil an Blättern und Stielen fällt deutlich geringer aus. Die händische Lese macht die sogenannte „Selektion“ möglich. Das meint, es werden mehrere Lesedurchgänge im Weingarten vorgenommen, um immer nur die besten Trauben zu ernten. So lässt man in Deutschland einzelne Trauben hängen, um zum Beispiel auf eine Trockenbeerenauslese oder einen Eiswein zu spekulieren. In Apulien braucht es einen zweiten Lesedurchgang, um einen echten Doppio Passo herzustellen.
Schonend befördert: Transportbehälter bei der Weinlese
Ambitionierte Winzer möchten die hohe Qualität ihrer Trauben unbedingt auch in den Keller herüberretten. Was logisch klingt, ist gar nicht so einfach, denn nach der Lese beginnt ein unaufhaltsamer Wettlauf gegen die Zeit. Als Erstes muss das Traubenmaterial unbeschadet im Keller ankommen. Um keinen Saft zu verlieren und um den zerstörerischen Prozess der Oxidation aufzuhalten. Tritt der Saft einmal aus der Beere, beginnt sie zu oxidieren und damit geschmacklich abzubauen. Dabei spielt bereits das optimale Behältnis für die Lese der Trauben eine große Rolle.
Damit die Trauben nun unversehrt in den Keller kommen, sind zu jeder Zeit Behutsamkeit und Umsicht gefragt. Die Transportbehälter sollten beispielsweise möglichst flach und nicht zu groß sein, damit die Trauben nicht das eigene Gewicht drückt. Heute kommen bei der schonenden Handlese keine normalen Eimer zum Einsatz, sondern Kunststoffbehälter, die man auf dem Rücken tragen kann. Diese sind mit kleinen Löchern ausgestattet, damit die darin abgelegten Trauben gut durchlüftet werden. Noch wichtiger: Der Transportbehälter darf eine gewisse Größe nicht überschreiten. Nicht etwa, um den Rücken der Erntehelfer zu entlasten, sondern vielmehr, damit sich die Trauben durch ihr Eigengewicht nicht gegenseitig zerquetschen. Selbstverständlich gehört zu dem vorsichtigen Umgang auch, dass die geernteten Trauben behutsam in den Transportkorb gelegt werden. Zudem sollte keine Beere bereits an der Rebe Beschädigungen oder Krankheiten aufweisen.
Kälte schützt vor Oxidation: empfindliches Lesegut
Der behutsame Umgang mit den Trauben verlangt, dass die Lese nicht bei zu hohen Temperaturen erfolgt. Also entweder früh am Morgen, am später Nachmittag und in heißen Weinbaugebieten sogar in der Nacht. Die Temperatur bei der Weinlese sollte idealerweise nicht über 15 Grad Celsius liegen. Auf dem Weg vom Weinberg in den Keller – insbesondere bei längeren Strecken – wird teils noch zusätzlich gekühlt. Entweder durch den Transport in einem Kühltransporter oder durch die manuelle Zuführung von Trockeneis auf das Lesegut.
Angekommen auf dem Weingut selektiert man speziell bei Spitzenweinen das Rebmaterial noch einmal von Hand, um mögliche Beschädigungen zu 100 Prozent ausschließen zu können. Angekommen auf dem Weingut selektiert man insbesondere bei Spitzenweinen das Rebmaterial noch einmal von Hand, bevor es in den Keller geht und der Most in Tanks oder Fässern auf die alkoholische Gärung wartet. Damit ist die Lese beendet, doch das große Abenteuer Wein geht erst richtig los. Von nun an sind es Kellermeister und Önologe, die sagen wo es langgeht.