Dessertweine und ihre Vielfalt

Am 24. März 2023 · von Sven Reinbold

Viele Weinfreunde denken bei süßen Weinen an nur wenig genussspendende Tropfen, die immer etwas klebrig anmuten. Unserem Kollegen Sven Reinbold geht es da ganz anders und so war es ihm ein besonderes Anliegen, eine „Gegendarstellung“ zu verfassen. 

Das Vorurteil gegenüber Weinen mit Restsüße kommt sicherlich nicht von ungefähr. So gab und gibt es Exemplare, die neben dem hohen Zuckergehalt nur wenig zu bieten haben. Doch sobald man sich mit der Thematik etwas im Detail beschäftigt, wird schnell klar, dass man zu voreilig handelt, wenn man dieser Kategorie eine Generalabsage erteilt. Denn: Es existiert ein großes Spektrum von Weinen mit Süße. Einige davon bieten aus meiner Sicht einen atemberaubenden Weingenuss. Insbesondere durch die betörende Aromatik und das feine Zusammenspiel zwischen Süße und Säure. Aber was bedeutet eigentlich Dessert- oder Süßwein? Und was gibt es da alles zu entdecken?

Im Folgenden nun einige Antworten, die ich in diesem Bericht zwecks besserer Orientierung auf weiße Süß- und Schaumweine beschränke. Und auch die Varianten, die durch Zugabe von Alkohol „gesprittet“ werden – wie Sherry, weißer Port oder Muscat de Beaumes-de-Venise – lasse ich bewusst aus. Zunächst möchte ich darauf eingehen, was einen Süßwein überhaupt ausmacht. Anschließend gehe ich auf konkrete Varianten und Herstellungsmethoden ein und zum Schluss folgen noch einige praktische Tipps zum Thema.

Dessert mit Schaumwein

Dessertwein stehen für ihren süßen Geschmack. Wie heißt es so schön: Gleich und Gleich gesellt sich gut. Süßer Wein und süßes Essen sind ein echtes Traumpaar.

Süß, süßer, Süßwein

Laut EU-Verordnung gilt ein Wein mit einem Zuckergehalt von mehr als 45 Gramm pro Liter als Süßwein. Die Bandbreite ist aber groß, so kann eine Trockenbeerenauslese durchaus mit über 350 Gramm Restzucker pro Liter daherkommen. Zum Vergleich: Ein Liter Coca-Cola enthält 106 Gramm Zucker. Süßweinen wird aber unter keinen Umständen Zucker beigefügt. Vielmehr besitzen die Trauben für einen Süßwein bei ihrer Lese bereits einen sehr hohen, natürlichen Zuckergehalt. Dieser entsteht durch eine vergleichsweise späte Ernte und andere Methoden, welche die Zuckerkonzentration steigern. Im Gärprozess wird der Zucker dann zu Alkohol umgewandelt und so haben die Trauben zunächst einmal das Potential, einen Wein mit sehr viel Alkohol zu produzieren.

Und auch wenn der Zuckergehalt eines Weines meistens in Gramm pro Liter ausgedrückt wird, gibt es bei Süßweinen noch andere Maßeinheiten, die für eine gewisse Verwirrung sorgen. In Deutschland wird das Mostgewicht des Traubenmostes in Grad Oechsle gemessen. Dabei drückt diese Maßeinheit das Mehrgewicht des Mostes im Vergleich zu Wasser aus. Da dieses Mehrgewicht fast ausschließlich gelöster Zucker ist, treffen die Grad Oechsle eine Aussage über den Süßegrad eines Weines. So erhalten wir durch die folgende Übersicht ein gutes Bild über die in Deutschland verwendete Klassifikation für Süßweine im offiziellen Prädikatssystem, sortiert nach steigendem Restzuckergehalt und ausgedrückt in Grad Oechsle.

Süßegrad von Weinen

Eine Übersicht zur Klassifizierung des Süßegrads von Weinen in Grad Oechsle

Ein Traum vom süßen Schaum

Schaumweine haben eine besonders interessante Eigenschaft in Bezug auf  die Restsüße: Durch die enthaltene Kohlensäure und die frische Säure wirken sprudelnde Dessertweine weniger anstrengend. Dazu trägt die kühlere Trinktemperatur noch zusätzlich bei. Durch die folgenden Bezeichnungen können süße Schaumweine, und generell Dessertweine aus Frankreich, Italien und Spanien immer identifizieren werden:

Demi-Sec: ‘halbtrocken’ auf französischen Etiketten

Amabile: ‘lieblich’ auf italienischen Etiketten

Semi Secco: ‘halbtrocken’ auf italienischen Etiketten

Doux oder auch Moelleux: ‘süß’ auf französischen Etiketten

Dolce / Dulce: ‘süß’ auf italienischen und spanischen Etiketten

Weiße Dessertweine: eine Kategorie für sich

Sofern sie gut gemacht sind, stellen stille Weißweine mit hohem Restzuckergehalt eine besonders hochwertige Weingattung dar. Insbesondere der Ruf von deutschen Rieslingen ist hierbei weltweit legendär. Vor allem der hohe, natürliche Säuregehalt von Riesling macht die Rebsorte ideal für die Herstellung von Süßweinen. Denn was wenige wissen: Gut gemachte Süßweine enthalten auch immer relativ viel Säure. So wirken die Weine nie klebrig, sondern der Zucker wird durch die Säure bestens „gekontert“.

Aber auch andere weiße Rebsorten eignen sich bestens für Dessertweine. Einige populäre Beispiele sind Sémillon (Sauternes), Furmint (Tokajer) und Gewürztraminer (Elsass). Neben der Rebsorte sind aber vor allem der Lesezeitpunkt und der anschließende Herstellungsprozess von entscheidender Bedeutung. Anders als bei den Dessertweinen mit zugesetztem Alkohol, geht es bei der Herstellung der hier thematisierten Süßwein-Gattung um die Konzentration des in den Trauben vorhandenen Zuckers.

Riesling

Ein absoluter Klassiker zur Herstellung von Dessertweinen bilden die Riesling-Reben

Dessertweine: ein kleiner Überblick

Ein Dessertwein kann auf ganz unterschiedliche Weisen entstehen. Welche verschiedenen Methoden es gibt und worin die Unterschiede liegen, erkläre ich dir.

Spätlese

Spätlese ist zwar ebenfalls eine Bezeichnung im deutschen Prädikatssystem, doch meint der Ausdruck auch – ganz wörtlich – einen späten Lesezeitpunkt. Und ein solcher wird natürlich grundsätzlich bei der Ernte von Trauben verwendet, die für einen Süßwein zum Einsatz kommen sollen. Nur so produzieren die Trauben mehr Zucker als für einen trockenen Wein. Zudem sind sie auch in Hinblick auf die Aromatik konzentrierter.

Auslese, Beerenauslese (BA) und Trockenbeerenauslese (TBA)

Diese drei Stufen des deutschen Prädikatssystems kennzeichnen Weine, die noch später als Spätlese-Weine geerntet wurden, um die erforderliche Mindestkonzentration Zucker erreichen zu können (siehe Überblick oben). Dabei ist die Beerenauslese süßer als eine Auslese und die Trockenbeerenauslese der Wein mit dem höchsten Restzuckergehalt. BA und TBA müssen verpflichtend mit Edelfäule in Kontakt gekommen sein (siehe unten). Bei Auslese-Weinen ist dies nicht zwingend notwendig, doch auch hier häufig der Fall. „Auslese“ hat bei diesen Weinen natürlich auch eine wortwörtliche Bedeutung. So müssen die Trauben besonders streng selektiert werden, um nur die besten Qualitäten für die Weiterverarbeitung zu lesen.

Eiswein

Eiswein wird nicht jedes Jahr hergstellt, denn Voraussetzung ist, dass es im Weinberg kalt genug wird, um die Trauben einzufrieren. Das gelingt zum einen nur in wenigen, klimatisch geeigneten Weinregionen (zum Beispiel in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in Kanada) und zum anderen ist es nicht jedes Jahr zum spätestmöglichen Lesezeitpunkt auch kalt genug (mindestens −7 Grad Celsius). Sind diese Verhältnisse gegeben, müssen die Trauben direkt nach der Ernte (meist nachts) direkt gepresst werden. Auf diese Weise bleibt der gefrorene Teil des Wassers in den Trauben zurück und nur die stark mir Zucker und Fruchtsäure gebundene Flüssigkeit tritt aus. Das Ergebnis ist ein sehr geringer Ertrag eines hochkonzentrierten, aromatischen Dessertweins. Und auch wenn Eisweine laut deutscher Klassifikation nur so viel Zucker wie eine Beerenauslese enthalten müssen, sind viele Eisweine mit einem höheren Zuckergehalt als eine Trockenbeerenauslese ausgestattet.

Edelfäule

Die sogenannte Edelfäule entsteht durch eine durch Feuchtigkeit auf den Traubenschalen provozierte Pilzerkrankung namens Botrytis Cinerea. Das klingt zunächst nicht einladend und die verschrumpelten Trauben bieten auch keinen schönen Anblick, doch sorgt Botrytis für einen unnachahmlichen Effekt: Der Schimmelpilz sorgt dafür das Feuchtigkeit aus den Beeren tritt und verdunstet. Dadurch steigt die Konzentration und sinkt die Menge des Traubensaftes. Gleichzeitig ernährt sich der Schimmelpilz von Zucker und Säure. Da er dabei Stoffwechselprodukte zurück an die Beere gibt, nimmt Botrytis auch Einfluss auf die Aromatik des Weines.

Neben den deutschen Auslese-, Beerenauslese- und Trockenbeerenauslese-Weinen werden Weine in folgenden französischen Appellationen ebenfalls mit Edelfäule geerntet: Sauternes, Barsac, Cadillac und Monbazillac. Daraus entstehen exzellente französische Dessertweine. Ein weiteres weltbekanntes Beispiel für einen Botrytis-Wein ist zudem der ungarische Tokajer.

Strohwein

Dessertweine

Zur Produktion von süßem Weiß- oder Schaumwein werden verschiedene Methoden verwendet

Wer sich an unseren Artikel über Amarone erinnert, wird sich an das Trocknungsverfahren auf Strohmatten erinnern. Auch bei der Herstellung von süßen Weinen kommt dieses Verfahren mitunter zum Einsatz. Nicht verwunderlich, denn bei Dessertweinen geht es darum möglichst viel Konzentration in den Trauben entstehen zu lassen. Sprich: Je weniger Wasser in den Trauben enthalten ist, desto konzentrierter ist der Most. Trocknet man nun Trauben auf Strohmatten verwandeln sich diese durch das verdunstende Wasser schnell in eine „rosinierte“ Form.

Das Verfahren kommt zum Beispiel beim italienischen Dessertwein Vin Santo zum Einsatz, der aus den weißen Trauben Trebbiano und Malvasia hergestellt wird und ein karamellig-nussiges Aromemprofil aufweist. Doch namensgebend für den Vin Santo ist die griechische Insel Santorin, auf der schon in der Antike Dessertweine hergestellt wurden. Wenig verwunderlich also, dass es auch in Griechenland einen Vin Santo gibt. Hier entsteht er allerdings aus der griechischen Rebsorte Assyrtiko. Die französische Variante des Strohweins ist der „Vin de Paille“. Der bekannteste stammt aus dem Jura-Gebiet und wird aus Chardonnay und Savagnin hergestellt.

Das richtige Glas für Dessertweine

Süßwein sollte idealerweise bei 10 bis 12 Grad Celsius getrunken werden. Bei dieser Temperatur wirkt der Zucker nicht zu aufdringlich und das Aroma kann sich trotzdem noch gut entfalten. Bei der Glaswahl gilt: Da man gewöhnlich einen Süßwein nur in kleinen Mengen trinkt, passt ein nicht allzu großes Glas am besten zu diesem Weintyp. Zudem sollte sich der Kelch nach oben verjüngen. So werden die im Wein enthaltenen Aromen am Glasausgang komprimiert. Zudem gelangt der Wein beim Trinken über die Zungenspitze in den Mund – so verstärkt sich der Zuckereindruck noch zusätzlich. Generell passen Dessertweine – wie der Name schon sagt – sehr gut zum Dessert. Jedoch sollte man beachten, dass der gewählte Nachtisch nicht süßer ist als die Weinbegleitung. Anderenfalls tritt die Säure im Wein zu stark in den Vordergrund.

Gut kombiniert: Dessertweine zu herzhaftem Essen

Blauschimmelkäse mit Dessertwein

Dessertwein kann auch mit herzhaftem kombiniert werden – beispielsweise mit Blauschimmelkäse.

Neben einem einfachen Kuchen oder anderem Gebäck, existieren auch einige klassische Kombinationen mit herzhaftem Essen. Einen französischen Dessertwein, wie einen Sauternes, kann man beispielsweise hervorragend mit Foie Gras (Entenstopfleber) kombinieren. Und auch ein Blauschimmelkäse, wie Roquefort oder Blue Stilton, passen hervorragend zu einem süßen Wein. Hat der Dessertwein nicht allzu viel Zucker, wie zum Beispiel ein Kabinett oder eine Spätlese, lässt er noch vielfältigere Kombinationen zu. Solche Weine machen vor allem bei asiatischem Essen eine tolle Figur. Dabei ist sogar ein gewisser Schärfegrad kein Problem, denn der vergleichsweise niedrige Alkoholgehalt (meistens unter 10 Prozent Alkohol Volumen) verstärkt die Schärfe nicht noch zusätzlich. Zudem passen die ausgeprägte Frucht und die Süße häufig gut zur Stilistik asiatischen Essens.

Alles auf Lager?

Durch den hohen Zucker- und Säuregehalt eignen sich gut gemachte Süßweine hervorragend für eine lange Lagerung. Beerenauslesen, Trockenbeerenauslesen und Eisweine, genauso wie Sauternes, sind wahre Langstreckenläufer. Ein Alter von 100 Jahren und mehr sind keine Seltenheit. Und die Weine bieten dann in vielen Fällen einen noch größeren Trinkgenuss.

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