Im Mund und am Gaumen: Wein geschmacklich beurteilen

Am 2. August 2024 · von Jürgen Overheid

Mit dem Gaumen ist der Verkostungs-Dreiklang nach Auge und Nase endlich komplett. Was man schmecken kann und welche Wechselwirkungen zwischen den Geschmacksfaktoren des Weins bestehen – ganz knapp zusammengefasst.

Welche Rolle beim Verkosten eines Weins die optische Wahrnehmung (Auge) sowie das Riechen (Nase) spielen, ist ausführlich an anderer Stelle des Magazins erklärt. Dieses Mal geht es allein um die Sinneseindrücke, die das Schmecken im Mund hinterlässt – den sogenannten Gaumen. Umfangreich genug angesichts der vielen Dinge, die uns Gaumen und Zunge über einen Wein verraten. Doch alles der Reihe nach.

Vorab ein paar praktische Tipps, bevor es ans konkrete Schmecken des Weins geht. Klingt marginal, ist aber beim anspruchsvollen Verkosten wichtig: Zuvor unbedingt genug Wasser trinken, denn im dehydrierten Zustand verändert sich die Wahrnehmung von Alkohol und Gerbstoffen (Tannine) deutlich. Außerdem ist ein „sauberer“ Mund wichtig, also keine sehr geschmacksintensiven Speisen vorab oder direkt nach dem Zähneputzen zum Probieren antreten.

Süße: Was vom Zucker übrig bleibt

Der Süßeeindruck verdankt sich dem Restzucker im Wein, also jenem natürlichen Zucker aus dem Most, der beim Fermentieren nicht in Alkohol umgewandelt wurde. Süße zu schmecken klingt einfach, ist es auch, allerdings gibt es Wechselwirkungen mit anderen Geschmacksfaktoren, die die Wahrnehmung von Süße verändern können. Alkohol und auch Fruchtaromen verstärken beispielsweise den Geschmack von Süße, hingegen sorgt Säure für ein Abschwächen des Sinneseindrucks.

Profis unterscheiden die Intensität des Süßeeindrucks sehr genau. Sechs Abstufungen finden Verwendung*: trocken, fast trocken, halbtrocken, halbsüß, süß und üppig. Lässt sich kein Zucker wahrnehmen, ist der Wein zweifellos trocken. Mit den folgenden Begriffen verbindet sich dann jeweils etwas mehr Zucker beim Schmecken des Weins. Süß sind jene Weine, bei den der Zucker eine ganz prägende Rolle spielt wie etwa bei einem Sauternes oder einer Trockenbeerenauslese. Die Steigerung von süß ist in der Weinsprache üppig. In diesem Fall zeigt sich der Zucker so massiv, dass selbst nach dem Schlucken ein klebriges Gefühl im Mund bleibt.

Zucker

Im Bereich der Süße repräsentiert „üppig“ die höchste Stufe der Weinwahrnehmung.

Säure: ausgleichend und sorgt für Frische

Drei Säuren finden sich im Wein: Weinsäure und Apfelsäure sind natürliche Inhaltsstoffe der Beeren. Bei Weinen, die die malolaktische Gärung, auch biologischer Säureabbau (BSA) genannt, durchlaufen, kommt noch die Milchsäure hinzu. Nicht flüchtige Säuren – also die guten Säuren – sind nur zu schmecken und werden nicht über die Nase wahrgenommen. Sie sorgen für den Frischeeindruck eines Weins, sind zudem für die Haltbarkeit eines Weins wichtig und kongenialer Partner des Zuckers. Säure gleicht nämlich den Süßeeindruck aus, was eindrucksvoll die besten Süßweine unter Beweis stellen.

Regt der Wein im Mund den Speichelfluss an und zeigt sich ein feines Prickeln an den Außenrändern der Zunge, bedeutet dies Säure. Der Speichelfluss ist selbst dann spürbar, wenn viel Restsüße die Wahrnehmung überdeckt. Profis halten für die Intensität der Säure im Geschmack fünf Abstufungen bereit*: niedrig, mittel – , mittel, mittel +  und hoch. Weiße Rebsorten, die allgemein für einen hohen Säuregehalt stehen, sind beispielsweise Riesling oder Sauvignon Blanc, Grüner Veltliner oder auch Albariño/Alvarinho.

Tannin: macht den Mund trocken

Säure regt den Speichelfluss an, Tannin bremst ihn aus. Deshalb erkennt man Gerbstoffe, manchmal auch Bitterstoffe genannt, an dem allmählichen Austrocknen des Mundraums. Bei viel Tannin wird alsbald die Zunge rauer, fühlt sich sogar etwas pelzig an. Tannin ist dennoch nichts Schlimmes, sondern es benötigt einfach Zeit, um sich samtener zu zeigen und mit den anderen Geschmackskomponenten zusammenzufinden. Gerade Weine, die für eine lange Reife vorgesehen sind, erweisen sich in jungen Jahren wegen der bislang nicht gezähmten Tannine sehr schroff und bitter.

Anders ausgedrückt: Der Tannineindruck eines Weins verändert sich deutlich im Laufe der Jahre. Umso mehr interessiert die Profis im Weinverkosten, wieviel Gerbstoffe ein Wein enthält. Erneut verwenden sie dafür eine fünfteilige Skala*: niedrig, mittel – , mittel, mittel +  und hoch. Doch Vorsicht, ein Wein kann auch viel Tannin enthalten, wenngleich man keine Bittertöne wahrnimmt. Denn gut integrierte Gerbstoffe verleihen dem Wein Fülle und Struktur, was ein ganz anderes Mundgefühl bewirkt.

Alkohol: mal süß, mal scharf

Alkohol ist ein Geschmacksträger im Wein und verstärkt gewisse Wahrnehmungen im Mund. Doch er weist darüber hinaus einen Eigengeschmack auf, der eine feine Süße zeigt. Sollte jedoch zu viel Alkohol vorhanden sein, stellt sich ein Brennen im hinteren Teil des Mundes ein, das sich im Abgang sogar intensiviert. Weinverkoster unterscheiden zwischen niedrigem (unter 11 % Alkoholvolumen), mittlerem (11 bis 13,9 % Alkoholvolumen) sowie hohem Alkoholgehalt (14 % Alkoholvolumen und mehr)*.

Doch viel Alkohol ist nicht per se schlecht oder immer brennend scharf. Alkohol sorgt für mehr Körper und ein fülligeres Mundgefühl, weil er viskoser als Wasser ist. Ist der Alkohol gut eingebunden in das Gefüge aus Süße, Säure, Tanninen und Aromen, ist dem Wein ein hoher Alkoholgehalt auf den ersten Schluck nicht anzumerken. Doch ist selbstverständlich bei Weinen mit überdurchschnittlich viel Alkoholgehalt noch mehr Maß beim Genießen geboten.

Rotwein im Glas

Alkohol verstärkt Aromen und verleiht Körper, kann aber bei zu hohem Gehalt ein Brennen verursachen.

Körper: dem Mundgefühl vertrauen

Aus dem Zusammenspiel der genannten Geschmacksfaktoren ergibt sich der Körper eines Weins. Gemeint ist damit das Mundgefühl, das sich füllig, üppig oder auch schlank, zart zeigen kann. Verkürzt kann man sich merken: Ein Plus an Alkohol, Zucker und Tanninen lassen den Körper wachsen, Säure oder auch bittere Tannine machen ihn dagegen schlank.  Wer mal einen Amarone im Glas hatte, weiß, was Körper meint. Wer sich einen filigranen Sauvignon Blanc von der Loire gönnt, verzichtet auf viel Körper und entscheidet sich bewusst für einen schlanken Wein. Für das Protokoll*: Profi-Verkoster unterscheiden beim Körper zwischen: schlank, mittel – , mittel, mittel +  und voll.

Kopfnote Gaumen: Intensität, Ausprägung und Abgang

Selbstverständlich ist auch die Intensität des Geschmacks ein Kriterium bei der Weinbeschreibung. Zudem ist der Charakter des Geschmacks, seine Geschmacksausprägung nach Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen entscheidend. Diese Begrifflichkeiten sind im Magazinbeitrag „Wein olfaktorisch beurteilen: Arbeit für die Nase“ ((Link auf Teil2)) genau erklärt. Als letztes gesellt sich noch der Abgang dazu, der nach den verbindlichen Begrifflichkeiten* kurz, mittel – , mittel, mittel + oder lang ausfallen kann.

Mousse: Sonderfall Schaumwein

Kommt ein Sekt oder Champagner, Prosecco oder Crémant ins Glas, gesellt sich ein weiteres Kriterium hinzu. Unter Mousse versteht sich die Wirkung der Perlage, der auftreibenden Kohlensäure im Schaumwein, auf den Geschmack. Drei Kategorien sind für die Beschreibung vorgesehen. Als fein erweisen sich meist gereifte Schaumweine, deren Lebendigkeit bereits gezähmt ist. Ganz anders junge Schaumweine, die mit ihrem starken Prickeln sogar als aggressiv tituliert werden. In der Mitte liegt mit cremig der Normalfall für Schaumweine.

Übung macht den Meister: und der Überblick

Wer Lust hat, bewusster Wein zu trinken und ihm methodisch auf den Geschmack zu kommen, nimmt mit diesen Kategorien und Begrifflichkeiten die Spur auf. Es bedarf Zeit und Muße sich auf diese anspruchsvolle Art zu nähern, doch es lohnt allemal. Noch mehr, wenn man sich zu den Weinen Notizen macht, um sie immer wieder in Erinnerung zu rufen und einen Vergleich zu neuen Weinen zu haben. Dieser Überblick zum Schmecken von Wein ist zumindest als kleine Unterstützung gedacht.

Gaumen: Wein geschmacklich beurteilen

Infografik Wein am Gaumen

*Einteilung basiert auf der Systematik des WSET (Wine & Spirits Education Trust).

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