Mit vereinten Kräften: Winzergenossenschaften
Am 20. Juli 2021 · von Stefan BehrFür Weinbauern mit nur wenig Rebfläche ist die Produktion eines eigenen Weins schlichtweg unwirtschaftlich. Für sie ist eine Winzergenossenschaft oft die einzige Alternative. Jedoch genießen Winzergenossenschaften nicht bei allen Weinfreunden einen guten Ruf. Zu Recht? Unser Kollege Stefan weiß mehr zu berichten.
Winzergenossenschaften existieren in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Einer Zeit, in der viele kleine Weinbauern aufgrund politischer und wirtschaftlicher Umbrüche – Stichwort industrielle Revolution – immer schwerer ihr Auskommen finden. Die Reblaus-Katastrophe verschärft die Situation zusätzlich: Nicht nur werden Ernten vernichtet, die Reben sterben einfach ab, weshalb es für den Neustart viel Geld und Zeit benötigt.
Viele Weinbauern suchen sich eine neue Beschäftigung oder wandern gar in die Neue Welt aus, um dort den Neubeginn zu wagen. Andere möchten sich nicht unterkriegen lassen und unternehmen die Flucht nach vorn, indem sie sich zu Genossenschaften zusammenschließen. Gemeinsam stemmen sie den Neuanfang: Sie bündeln ihre Kräfte, um bessere Preise für ihre Trauben oder Grundweine zu erzielen und sogar eigene Weine zu erzeugen und zu vermarkten.
Winzergenossenschaften in Deutschland
Selbst als die Folgen der Reblaus-Katastrophe überwunden sind, bleibt die Genossenschaft für viele Weinbauern mit wenigen Hektar Rebfläche die einzige Alternative. Das gilt auch für die deutschen Anbaugebiete, wo die ersten Genossenschaften bereits vor über 150 Jahren ins Leben gerufen werden. Zu den ältesten Zusammenschlüssen zählen die 1855 gegründete Weingärtnergenossenschaft Neckarsulm-Gundelsheim in Württemberg sowie der 1868 gegründete Winzerverein Mayschoß an der Ahr.
Auch in Baden und an der Mosel, in Rheinhessen und in der Pfalz schließen sich die Weinbauern zusammen. Aktuell existieren in Deutschland rund 150 Winzergenossenschaften, die ein Drittel der Gesamtrebfläche besitzen und für rund 30 Prozent der Gesamtweinproduktion stehen. Allerdings sinkt die Gesamtanzahl der Genossenschaften seit Jahrzehnten stetig, was vorrangig dem Zusammenschluss von kleinen Genossenschaften mit großen geschuldet ist.
Winzergenossenschaften in Österreich
1898 wird in Traismauer die erste Winzergenossenschaft Österreichs gegründet. Mittlerweile ist sie Teil der Winzer Krems, der mit 1.200 Mitgliedern und 900 Hektar Rebfläche größten Genossenschaft des Landes. Über die Grenzen bekannt ist zudem die Domäne Wachau mit rund 250 Mitgliedern und 420 Hektar Rebfläche. Gleichzeitig ist die Domäne Wachau ein anschauliches Beispiel für das hohe Qualitätsniveau von Genossenschaften.
Winzergenossenschaften in Frankreich
In Frankreich sind Genossenschaften hauptsächlich in den großen Weinregionen im Süden weitverbreitet: Languedoc-Roussillon, Provence und das Rhônetal beheimaten gut 600 Caves Coopératives – Anfang der 1990er-Jahre waren es noch über Tausend. Trotz des Rückgangs stehen die Kooperativen in Frankreich noch für die Hälfte der Weingesamtproduktion. Für die Weinfans bieten sie meist preisgünstigere Alternativen zu den großen Châteaus und Weindynastien, wie sie beispielsweise aus dem Bordeaux bekannt sind.
Dabei haben die Winzergenossenschaften in Bezug auf Qualität deutlich aufgeholt, nachdem sie ihre Kellereien modernisiert und ihre Mitglieder auf höhere Standards bei der Traubenerzeugung verpflichtet haben. Zu nennen sind beispielsweise Les Producteurs Réunis, Cellier d’Eole, Les Vignobles Foncalieu oder die Union des Vignerons und die Vignerons de Cascastel. Aber auch an der Rhône gibt es einige dieser erfolgreichen Kooperativen wie Terroir Daronton Rhonea, kurz nur Rhonea genannt, oder Cellier Des Princes und die Vignerons Propriétés Associés.
Winzergenossenschaften in Italien
Im großen Weinland Italien finden sich Winzergenossenschaft von Nord bis Süd. Hervorzuheben ist besonders Südtirol, wo die Zusammenschlüsse der Weinbauern klar den Ton angeben – und das auch in Sachen Qualität. Das machen Namen wie Kellerei Meran, Cantina Terlan, Kellerei Eisacktal oder Kellerei Kurtatsch deutlich.
Aber auch in Apulien und Sizilien sind Kooperativen ein prägender Faktor der Weinlandschaft. So ist beispielsweise die Genossenschaft Cantina Vecchia Torre mit rund 1.240 Winzern und 1.100 Hektar Rebfläche eine maßgebliche Größe in Apulien. Nicht zu vergessen die Cantine San Marzano oder auch die Cantine Ermes, die sowohl in Apulien als auch Sizilien Weine erzeugt.
Ähnliche Beispiele finden sich in Spanien und Portugal, aber auch im fernen Südafrika. Dort dominiert die KWV (Ko-operatiewe Wijnbouwers Vereniging van Zuid-Afrika) lange Zeit den Weinmarkt und gilt in den 1920er-Jahren sogar als größte Winzergenossenschaft der Welt.
Winzergenossenschaft als Sprungbrett
Es kommt auch vor, dass Winzer eine Genossenschaft verlassen, um doch ihr eigenes Weingut zu gründen und endlich selbst Weine auf die Flasche zu bringen. Nicht selten geschieht dies, wenn der Betrieb an die nächste Generation übergeben wird. Der Nachwuchs ist meist bestens darauf vorbereitet. Eine Ausbildung zum Winzer oder Kellermeister verbunden mit Berufserfahrungen bei großen Weingütern im In- und Ausland versetzt sie in die Lage, den neuen Weg mit der notwendigen Expertise einzuschlagen und mit ganz genauen Vorstellungen, wie sie Weine erzeugen wollen. Sie sind Profiteure der Winzergenossenschaften, die für sie als Sprungbrett in die Selbstständigkeit dienen. Und den Weinfreunden in aller Welt soll es recht sein.