Weinmythen und populäre Wein-Irrtümer entlarvt
Am 5. September 2024 · von Michael StolzkeHalbwissen ist gefährlicher als Unwissen. Ganz der Wein-Aufklärung verpflichtet, entlarvt „Bei Anruf Wein“-Podcaster Michael deshalb für uns die 10 bekanntesten Wein-Irrtümer. Von Cuvée bis Schraubverschluss, von Kirchenfenster bis Atmen und von Wahrheit bis Dichtung.
Mythos klingt erst einmal positiv. Wer einen Wein angeboten bekommt, der als Mythos gilt, wird nicht Nein sagen. Ursprünglich meint Mythos eine Erzählung von Göttern und Helden, deren Glaubwürdigkeit nur ungern angezweifelt wird, obgleich sie zu schön ist, um wahr zu sein. Von diesem Umstand leitet sich eine weitere Bedeutung des Begriffs Mythos ab, nämlich den einer Tatsache, die einfach nicht wahr ist. Und davon gibt es einige in der Weinwelt.
Überraschend viele dieser Weinmythen sind schlichtweg Wein-Irrtümer und beschäftigen sich mit pauschalen Urteilen zur Qualität eines Weines anhand eines einzelnen Merkmals. Andere zielen eher auf den Umgang mit Wein ab oder bereiten einfach Kopfzerbrechen. Es wird Zeit, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen.
1. Je teurer der Wein, desto besser der Wein
Mal Hand aufs Weinherz: Was lässt sich von einer Flasche erwarten, die mit einem Preis von 3,99 Euro lockt? Stellt man die Arbeit im Weinberg und im Keller, die Trauben, die Kosten für die notwendige Ausrüstung in Rechnung. Addiert man jetzt noch das Geld für Flasche, Verschluss und Etikett sowie für Transport und den Handel sollte klar sein, dass man sich kein Spitzengewächs gönnt. Das heißt nicht automatisch, dass der Wein richtig schlecht ist. Aber langweilig ist er ganz bestimmt und richtig gut auch nicht.
Das sieht bei einem Wein für 15, 20 oder 30 Euro sicherlich anders aus. Da kann sich das Weingut eine Lese per Hand oder eine besonders aufwendige Vinifizierung und Reife schon leisten. Genauso gilt jedoch, dass ein Wein für 200 Euro nicht zehnmal so gut sein muss, wie eine Flasche für 20 Euro. Mit anderen Worten: Als absolute Aussage ist „je teurer der Wein, desto besser der Wein“ schlichtweg falsch.
2. Je älter der Wein, desto besser der Wein
Ein ganz entschiedenes „Nein, stimmt nicht“ verlangt dieses pauschale Urteil, Wein werde mit der Zeit immer besser und je älter der Wein sei, desto besser sei er auch. Ohne Zweifel, es gibt diese Weine, die erst nach zehn, 20 oder 30 Jahren und mehr auf den Höhepunkt ihres Vermögens gelangen. Die großen Weine aus dem Bordeaux und dem Burgund, aus Barolo und Rioja fallen in diese Kategorie. Doch nimmt man die Gesamtheit aller Weine zum Maßstab, bilden sie die Ausnahme.
Genauso deutlich ist festzuhalten: Es gibt viele Weine, die Frucht und Frische in den Vordergrund rücken und unbedingt jung getrunken werden wollen. Das gilt für Weißweine, Roséweine und Rotweine gleichermaßen. Einen Wein so zu machen, dass er für die Langstrecke taugt, erfordert viel Aufwand und beste Qualität – siehe „je teurer der Wein, desto besser der Wein“. Das ist auch wahr.
3. Verschnitt – das kann nichts Gutes sein
Tatsächlich klingt das deutsche Wort „Verschnitt“ nicht unbedingt schmeichelhaft. Doch übersetzt man es mit dem französischen Cuvée oder Assemblage sowie dem englischen Blend, dämmert allen Weinfreunden sofort, dass es ganz und gar kein Qualitätsurteil ist, ob ein Wein reinsortig ist oder eben ein Verschnitt. Vielmehr ist es eine große Kunst, verschiedene Rebsorten zu einem Wein zu vermählen.
Schließlich sind ohne Cuvée und Assemblage ein Champagner oder ein Châteauneuf-du-Pape, ein klassischer Médoc aus dem Bordeaux oder ein Supertoskaner gar nicht denkbar. Reinsortig oder Cuvée ist eher eine Frage des Weinstils und oftmals eine der Weintradition in einer bestimmten Region. In Deutschland beispielsweise lebt man eine Vorliebe für reinsortige Weine aus..
4. Weine mit Schraubverschluss sind minderwertig
„Gute Weine sind per se mit einem Naturkorken verschlossen“. Eben nicht, in diesem Weinmythos verbergen sich gleich zwei Falschaussagen. Ein Naturkorken ist nicht automatisch ein Qualitätsbeweis für den Wein in der Flasche. Es gibt Spitzenweine, die auf Dreh geöffnet werden, es gibt aber auch mittelmäßige Weine, die sich mit dem Korken – gern auch mit einer schweren Flasche – aufhübschen. Beim VDP-Weingut Gunderloch aus Rheinhessen kommt beispielsweise jeder Wein bis hoch zum Großen Gewächs mit einem Schraubverschluss auf den Tisch.
Die zweite Falschaussage, die sich mit dem Schraubverschluss verbindet, ist die mit dem Korkfehler. Großer Vorteil des Schraubers sei es, dass er keinen Korkfehler – sprich TCA – haben könne. Im Prinzip richtig, doch lagern die Schraubverschlüsse vor der Abfüllung gemeinsam mit Kartons oder viel Papier, kann sich auch dort ein Korkfehler einschleichen. Selten, aber alles schon gehabt.
5. Weine mit „Kirchenfenstern“ sind gut
Ach ja, das gute alte Kirchenfenster. Gemeint sind die bogenförmigen Schlieren, die ein Wein zeigt, der sich nach dem Schwenken an der Innenfläche des Glases nach unten bewegt. Diese Gotik im Weinglas ist aber nicht grundsätzlich ein Kennzeichen eines guten Weins. Vielmehr stehen die Kirchenfenster für eine größere Viskosität. Das bedeutet, der Wein enthält mehr Alkohol und/oder Zucker, weshalb er eine Spur zähflüssiger ist, als ein trockener, leichter Wein. Kirchenfenster sind also kein Grund für die große Andacht oder gar ein Amen.
6. Rotweine immer bei Zimmertemperatur trinken
Andere Weinmythen sind tatsächlich aus der Vergangenheit stammende und mittlerweile überkommene Merkregeln. Einen Rotwein immer bei Zimmertemperatur zu servieren, gehört dazu. Allein, weil die Zimmertemperatur bei uns mittlerweile eine andere ist als zu jener Zeit, da der Spruch geprägt wurde – nix Zentralheizung! Es gab kalte Zimmer mit einer Raumtemperatur von 18 Grad Celsius. Da mag die Empfehlung gut ausgehen. Aber insbesondere alkohol- und körperreichen Rotweinen tun zwei, drei Grad weniger durchaus gut. Für Besonnene gilt, den Rotwein lieber etwas kühler servieren. Wärmer wird er von allein – wegen der Zimmertemperatur.
7. Ein Wein muss atmen
Nur soviel vorab: Wein reagiert prinzipiell auf Sauerstoff, das tut er von der Erzeugung an und nicht zuletzt im Weinglas vor dem ersten Schluck. Nur ist das nicht immer gut, und ob man deshalb jeden Wein – auch nicht jeden älteren, gereiften Wein – direkt karaffieren muss, ist mehr als zweifelhaft. Gerade gereifte Exemplare reagieren oftmals negativ auf Sauerstoffzufuhr, verlieren an Vielschichtigkeit und Präzision, fallen geradezu in sich zusammen. Dagegen tut oftmals jüngeren Exemplaren, die sich noch verschlossen zeigen, ein bisschen frische Luft gut, um die Aromen zu erwecken.
8. Das kann weg – geöffnet oder mit Korkfehler
Sauerstoffkontakt und Wein ist bekannt – siehe „Ein Wein muss atmen“. Dies gilt auch für die geöffnete Flasche mit dem noch beträchtlichen Rest. Ist der Wein am Folgetag noch ein Vergnügen oder die Flasche samt Inhalt zu entsorgen? Am besten ausprobieren und zuvor verschlossen im Kühlschrank lagern. Manche Weine mögen die erste Nacht nicht überstehen, doch der praktische Versuch zeigt, dass die meisten Weine durchaus ohne große Einbußen überdauern. Selbst der Wein, der für das Trinken aufgrund eines Korkfehlers ausscheidet, muss nicht im Ausguss landen. Als Kochwein taugt er noch, da das Erhitzen den Fehler verschwinden lässt.
9. Kopfschmerzen – es war der Schwefel
Nein, höchstwahrscheinlich geht der Kater nicht auf den Schwefel im Wein zurück. Ebenso höchstwahrscheinlich ist es doch das Zuviel an Alkohol – sorry. Die Kennzeichnung „Enthält keine Sulfite“ gewährleistet, dass bei der Weinerzeugung kein Schwefel eingesetzt wurde. Dabei dient Schwefel bereits seit Jahrhunderten dazu, Weine stabiler und haltbarer zu machen. Der Schwefel bremst bestimmte organische Prozesse aus, die den Wein verändern. Klingt schlimm, vergleicht man jedoch den Schwefelgehalt von Trockenfrüchten wie Rosinen oder Datteln mit den Mengen im Wein, steht der gesundheitsgefährdende Feind plötzlich woanders. Der Schwefelgehalt in Weinen ist zumeist vollkommen unbedenklich und keinesfalls die Ursache für den Kater.
10. Heller Rotwein – der schmeckt wässrig
Die Farbe eines Rotweins hängt zum einen von der Rebsorte, aber auch von der Weinerzeugung ab. Der weltberühmte Pinot Noir aus dem Burgund weist als herausragende Qualität weniger eine dunkle, dichte rote Farbe auf, da die Beeren eine dünne Schale besitzen. Diese Weine kommen vielmehr mit einem blassen, zurückhaltenden Rot daher. Doch der Beurteilung mit dem Auge entgeht, welche Vielschichtigkeit und Tiefe in diesem Wein schlummert. Der Umkehrschluss trifft im Falle eines Cabernet Sauvignon, Merlot oder auch Syrah dagegen durchaus zu. Diese Rebsorten stehen für intensive Farbe und spürbares Format.