Aber natürlich: Naturwein ist in, aber noch nicht in aller Munde.
Am 7. Mai 2020 · von Stefan BehrOb Naturwein oder Vin Naturel: Offiziell ist gar nicht geregelt, was sich hinter diesen Begriffen überhaupt verbirgt. Ist Naturwein der bessere Wein? Ist Naturwein gesünder? Das sind nur einige von vielen Fragen, die sich Weinfreunde derzeit stellen. Unser Weinexperte Stefan weiß Rat.
Die Bezeichnung Naturwein hat weinrechtlich betrachtet keinerlei Bedeutung. Schlichtweg, da offiziell jeder Wein als Naturprodukt betrachtet wird. Der Begriff Naturwein hat sich vielmehr für eine Art von Wein etabliert, der weitestgehend unbehandelt den Vinifikationsprozess durchläuft.
Meistens sieht Naturwein schon auf dem ersten Blick gar nicht aus wie ein typischer Wein: Häufig ist er trüb in der Farbe und nicht selten prägt sein Geruch eine leichte Hefenote. Unweigerlich denken einige Weinfreunde dabei eher an Kombucha oder ein Weizenbier, nicht aber an Wein im klassischen Sinne. Dadurch sollte man sich aber nicht abschrecken lassen.
Bio, Hefe, Schwefel und Co: was ist Naturwein?
In den meisten Fällen stammen Naturweine eher von kleinen, unabhängigen Produzenten. Größere, etablierte Weingüter beschäftigen sich vergleichsweise selten mit dieser Weingattung – Ausnahmen bestätigen die Regel. Zudem stammen Naturweine praktisch immer aus nachhaltig, bio-zertifizierten oder gar biodynamisch bewirtschafteten Weinbergen.
Auch setzen die meisten Winzer bei der Herstellung von Naturweinen auf natürlich vorkommende Hefen in der Luft oder auf den Trauben, um die alkoholische Gärung spontan anlaufen zu lassen. Ein Prinzip, das mittlerweile auch viele Produzenten von „normalen“ Weinen nutzen, da es häufig vielschichtigere Aromen freisetzt als bei der Beimischung von Reinzuchthefen.
Beim Thema Schwefel geraten viele Weinfreunde ganz aus dem Häuschen: Kopfschmerzen und andere Nebenwirkungen werden ihm unterstellt. Grundlos, wie man mittlerweile weiß. Sulfit macht vor allem eines: den Wein haltbarer. Und ganz klar ist auch, dass eine zu hohe Schwefeldosis den Wein aromatisch negativ beeinflusst. Der Wein verströmt dann einen Duft von frisch ausgepustetem Streichholz.
Bei einem Naturwein verzichtet man häufig ganz auf den Zusatz von Schwefel oder reduziert ihn aufs Mindeste. Das macht die Naturweine zwangsläufig weniger haltbar, auch wenn in jedem Wein auch ohne menschliches Zutun bereits Schwefel enthalten ist.
Wie schmeckt Naturwein?
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass Naturweine weniger fruchtig daherkommen und ihr Aromaprofil mehr von Hefe geprägt ist als bei einem konventionellen Wein. Auch haben sie nicht selten eine laktische, nach Joghurt riechende Prägung.
Durch das Fehlen einer Klärung, Schönung oder Filtrierung kommen Naturweine zudem oft leicht trüb ins Glas.
Das mag sich alles zunächst etwas unattraktiv anhören, doch lohnt es sich den eigenen Erfahrungsschatz mit dieser Art von Weinen zu bereichern. Zudem gilt diese Verallgemeinerung für zahlreiche Naturweine nicht.
Welche Naturweine gibt es?
Wie gesagt: Es existiert keine klare Definition in Punkto Naturwein. Allerdings gibt es einige Weine, die sich unabhängig von dieser eher schwammigen Bezeichnung einen Namen gemacht haben:
Orange-Wine
Dieser Weißwein wird ähnlich wie ein Rotwein hergestellt. Der Most verbleibt viele Tage zusammen mit Schalen und Kernen im Gärbehälter. Dadurch erhält der Wein eine Konzentration und Aromenfülle, die für einen Weißwein ungewöhnlich ist. Zudem sorgt der lange Schalenkontakt für die orangene Farbe. Mittlerweile versuchen sich Winzer in allen Weinregionen der Welt an Orange Wines.
Pétillant Naturel
Dieser Schaumwein, auch als „Pet Nat“ bekannt, wird nach einer uralten, aus Frankreich stammenden Methode hergestellt, die sich Méthode Rurale nennt. Dabei wird der noch im Gärprozess befindliche Most in Flaschen abgefüllt, um dort weiter zu gären. Je nach Zeitpunkt der Abfüllung kann ein stark oder weniger stark schäumender Wein dabei herauskommen. Auf ein Dégorgement zur Entfernung der Hefe wird oft genauso verzichtet wie auf eine Dosage, also auf die sonst übliche Auf-Süßung. Vor allem die aus Chenin Blanc gewonnenen Pet Nats von der Loire sind beliebt.
Dies sind aber nur zwei populäre Beispiele. Naturweine gibt es in allen möglichen Stilrichtungen und natürlich auch als Rotweine. Man experimentiert in diesem Zusammenhang auch mit unterschiedlichen Behältern bei der Weinbereitung – zum Beispiel mit Amphoren aus Terracotta. Verzichtet wird von Naturwein Produzenten in der Regel auf den Einsatz von Holzfässern, da sie den natürlichen Charakter des Weins aus ihrer Ansicht zu sehr verfälschen.
Ist Naturwein gesünder?
Ohne die Verwendung von Zusatzstoffen wie Schwefel oder anderer Einflussnahme könnte man glauben Naturweine sind auf jeden Fall gesünder. Da mag auch etwas dran sein, doch gibt es auch eine Kehrseite, der man sich bewusst sein sollte: Durch die fehlende Filtrierung verbleiben in Naturweinen Verunreinigungen wie Mikroben oder Proteine. Darüber hinaus kann die Verwendung von einheimischen Hefen gelegentlich die Menge an biogenen Aminen im Wein erhöhen. Eines dieser biogenen Amine ist Tyramin und diesem Stoff wird nachgesagt, dass es Kopfschmerzen und Migräne verursachen kann. Aber wie schon erwähnt, arbeiten mit diesen Hefen mittlerweile auch sehr viele Produzenten von hochwertigem, klassisch hergestelltem Wein. Daher gilt: Wenn man sich das Prinzip „alles in Maßen“ zu Herzen nimmt, dürfte man keine negativen Auswirkungen feststellen.
Tipps zum Umgang mit Naturwein
Aber nochmal zurück zum Thema Schwefel: Bei Naturweinen muss man sich stets bewusst sein, dass schwefelfreie Weine auf lange Sicht instabiler sind. Will meinen: Sie können schneller verderben als geschwefelter Wein. Zwar wirkt ein hoher Säure- oder Tanningehalt auch konservierend, aber eben nicht so effektiv wie Sulfite.
Daher sollte man unbedingt ein paar Regeln befolgen damit es mit dem Genuss von Naturwein auf Anhieb klappt:
- Naturwein sollte innerhalb eines Jahres nach dem Kauf getrunken werden sofern keine Sulfite hinzugegeben wurden.
- Die Flaschen sollten nicht wärmer als 25 Grad Celsius gelagert werden, da unter Umständen die noch enthaltenen Hefen eine Nachgärung auslösen können.
- Durch die höhere Instabilität sollte Naturwein auch möglichst lichtarm aufbewahrt werden.
- Offene Weine – egal ob weiß oder rot – am besten mit einem Verschluss im Kühlschrank aufbewahren, da dies einen konservierenden Effekt hat.
Naturwein ausprobieren
Aber natürlich darf man aus dem Thema keine Wissenschaft machen: Noch mehr als bei anderen Weinen heißt bei Naturweinen die Devise: Probieren geht über Studieren. Schlichtweg, da das Spektrum zwischen „eigentlich ganz normal“ bis zu „extrem gewöhnungsbedürftig“ sehr groß ist.
Naturweine liegen zweifelsohne im Trend. Sie fordern Weintrinker heraus und erweitern das Spektrum dessen, was wir gemeinhin als Wein bezeichnen. Die Top-Sommeliers in der Gastronomie haben Naturweine längst als interessante Essensbegleiter entdeckt. Daher mein Rat: Gerne probieren!