Likör: mehr Vielfalt geht nicht
Am 6. Januar 2023 · von Sven ReinboldKeine andere Spirituose bringt so viele unterschiedliche Geschmäcker ins Glas wie der Likör. Sven aus dem Weinfreunde-Team bahnt uns erste Wege des Genießens in die große Welt der Liköre.
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, lautete noch vor Jahrhunderten die Antwort, wenn es einem nach Likör verlangte. Zudem war es kein freudiges Bedürfnis, denn einen Likör, Liqueur oder Liquor war nur im Krankheitsfall zu konsumieren. Die Ursprünge der Spirituosen-Kategorie sind nämlich medizinischer Natur. Der Alkohol, sprich das Destillat, hatte in diesem Zusammenspiel allein die Aufgabe, die Kräuter und Heilpflanzen aufzunehmen. Bereits aus dem 13. Jahrhundert sind die Rezepte eines Arnaldus Villanova überliefert, der gesüßte Liköre auf Branntweinbasis mit verschiedenen Heilkräutern herstellt. Diese Destillate gelten als wirksame Medizin und Arnaldus Villanova als großer Heilkundiger. Immerhin war er der Leibarzt von drei Päpsten.
Likör: die Grundrezeptur
Das Süße an diesen Likören ist genauso eine Besonderheit wie die beigegebenen pflanzlichen Zutaten, denn Zucker ist in jener Zeit ein absolutes Luxusgut. Bis heute ist die Beigabe von Zucker ein wesentliches Merkmal eines Likörs. Bis auf einige Ausnahmen – beispielsweise für den Kirschlikör – sind nämlich 100 Gramm Zucker pro Liter der Mindestgehalt. Wird es noch süßer und der Zuckergehalt übersteigt 250 Gramm pro Liter, erhält der Likör den Zusatz Creme, Crème oder Cream.
Alkohol plus Zucker plus Wasser plus X heißt also das Grundrezept eines Likörs. Dabei kann die Unbekannte in der Formel in einer Weise aufgelöst werden, die an Vielfalt kaum zu übertreffen ist. Man denke nur an die zahlreichen Fruchtliköre, die sich in Supermarkt- und Barregalen finden. Kirschlikör und Pfirsichlikör, Liköre mit Orangen-, Quitten-, Pflaumen-Aromen: Die Liste lässt sich noch beliebig erweitern. Doch damit nicht genug. Kaffee- und Mokkaliköre sowie Kräuter- und Klosterliköre erfreuen sich gleichfalls andauernder Beliebtheit. Nimmt man alle köstlichen Likörvarianten zusammen, kommt heraus, dass die Spirituosengattung Likör die beliebteste in Deutschland ist. Da können selbst Klassiker wie Whisky und Rum oder Trendspirituosen wie Gin nicht mithalten.
Eierlikör: aus der Not geboren
Ein besonderes Verhältnis pflegt man in Deutschland zum Eierlikör. Gleich ob zum Dessert, zum Kaffeekränzchen oder zum Feiern, egal ob jung oder alt: Eierlikör ist Tradition und Kult in einem. Dabei stammt die Urversion des Eierlikörs eigentlich aus Südamerika, wo er auf Basis von Rum und Rohrzucker mit Avocados hergestellt wurde. Das erklärt auch die internationalen Namen des Eierlikörs von Advokat und Avocat bis zu Advocaat. Da in Europa Avocados jedoch Mangelware waren, suchte man nach einer Alternative. Nach vielem Experimentieren landete man beim Eigelb. Das ist die Geburtsstunde des Ei, Ei, Eierlikörs.
Likör selbst gemacht: Familienrezept und Kreativität
Der Eierlikör ist ein anschauliches Beispiel für die Likörherstellung in den eigenen vier Wänden. Es gibt Rezepte für Liköre, die sorgsam in Familienritualen an Fest- oder Geburtstagen zelebriert werden. Aber den Likör selbst zu machen, eröffnet auch die Möglichkeit, die eigenen Vorstellungen auszuprobieren und sich von Lieblingsgeschmäckern inspirieren zu lassen. Letztlich lässt sich das Grundrezept des Likörs wunderbar variieren.
Nimmt man die Grundrezeptur Alkohol plus Zucker plus Wasser plus X kommt es beim Selbermachen vorrangig auf das Zusammenspiel von Alkohol und X an. Soll die besondere Zutat mit ihren Aromen im Vordergrund stehen, empfiehlt sich eine weniger geschmacksintensive Spirituose wie etwa ein Wodka oder auch ein Korn. Diese beiden harmonieren besonders gut mit zarten Beerenfrüchten, aber auch mit Pfirsich, Aprikosen & Co. Für Kirsche und Pflaume bieten sich ein Brandy oder auch ein Rum an. Umso mehr gilt die Devise: Probieren geht über Studieren.
Der eigene Likör: Warten lohnt sich
Zunächst die Früchte und/oder die Kräuter in ein großes Gefäß geben, mit Zucker bestreuen und anschließend mit dem Alkohol übergießen. Nun heißt es warten. Denn es benötigt Zeit, bis die Aromen in den Alkohol übergehen. Bei selbst gemachten Likören mit Beeren sind dies mindestens drei Wochen, bei Pfirsich, Aprikose und anderen Früchten empfehlen sich bis zu sieben Wochen. Am Ende der Wartezeit mit einem Sieb und gegebenenfalls einem Kaffeefilter klären, um auch Schwebstoffe zu entfernen, und ab auf die Flasche. Die Flaschen aber zuvor sterilisieren – in kochendem Wasser oder im Backofen – um die Haltbarkeit zu gewährleisten. Der Likör ist problemlos mehrere Monate aufzubewahren, sobald er einen Alkoholgehalt von etwa 15 Prozent aufweist. Am besten kühl und dunkel lagern.
Likör im Cocktail: Bar-Geflüster
Soviel zur Heimarbeit. Am anderen Ende der Likörwelt, in der Cocktail-Bar, sind seine Dienste ohnehin unverzichtbar. Was wäre ein Daiquiri ohne den Maraschino, ein Espresso Martini ohne den Kaffeelikör oder ein Last Word ohne Chartreuse. Ganz zu schweigen vom B 52, der eine wahre Likör-Orgie ist, wenn er in der Variante mit Kaffeelikör, Creamlikör und Bitterorangenlikör daherkommt. Kurzum, ohne die richtigen Liköre im Barregal läuft es nicht.
Um bei der Hochkultur des Likörs zu bleiben: Am besten in einem kleinen Glas anbieten, das aber eine große Öffnung haben sollte, um den Duft des Likörs und sein besonderes X preiszugeben. Keinesfalls zu kalt trinken, um den Aromen eine Chance zu geben. Je wärmer der Likör getrunken wird, desto mehr tritt sein Alkohol in den Vordergrund.
Kein Likör ohne Zucker: Kalorien statt Luxus
Noch einmal zurück zum Zucker, im Regelfall immerhin 100 Gramm pro Liter. Das ist heutzutage genauso zu bedenken, wie der Alkoholgehalt von 15 Prozent. Doch erinnert sei noch einmal an die Anfänge des Likörs, als mit der Beigabe von Zucker aus der bitteren Medizin eine süße wurde. Das Medizinische ging mit dem sogenannten „liqueur de plaisir“ verloren, der Zucker blieb. Das machte den Likör zum absoluten Luxusgut. Erst als sich mit der Zuckerrübe eine neue Herstellungsmethode ergab, wurde der süße Stoff erschwinglich. Interessanterweise entstehen in dieser Epoche auch viele der großen Likörmarken, die wir bis heute kennen. Doch der Likör ruht sich nicht allein auf seinem Erbe aus und stellt seine ihm eigene Vielfalt mit neuen Kreationen immer wieder unter Beweis. Da kommt man glücklicherweise aus dem Probieren gar nicht mehr raus.
Eierlikör Angeberwissen trifft Schätzfrage
Lassen wir den Zucker mal beiseite und wenden uns den Eiern zu, genauer gesagt dem Eigelb. Weißt du, wie viel Eigelb für einen Liter Eierlikör gesetzlich vorgeschrieben sind? Satte 140 Gramm ist die Mindestanforderung. Das entspricht je nach Größe des Eis immerhin acht bis zehn Eiern.