Biodynamischer Weinbau: Glauben ist alles?
Am 26. September 2021 · von Sven ReinboldBiodynamischer Weinbau wird immer bekannter und beliebter. Kollege Sven Reinbold hat uns bereits mit seinem Bericht Biowein: immer beliebter, immer besser über naturnah hergestellte Weine informiert. Im Folgenden erklärt er uns, dass im biodynamischen Weinbau noch strengere Regeln herrschen und diese nicht selten esoterisch anmuten.
Was bedeutet Biodynamik?
Das Grundkonzept der Biodynamik – auch Biodyamie genannt – besteht in der Annahme, dass alle Dinge in unserem Universum miteinander verbunden sind und eine Art kosmische Resonanz oder Energie abgeben. Dabei spielen vor allem Himmelskörper wie Mond, Planeten und Sterne eine große Rolle. Wenn man an die Rolle des Mondes für Ebbe und Flut auf der Erde denkt, lässt sich diese Annahme leicht nachvollziehen.
In Bezug auf biodynamischen Weinbau bedeutet dies, dass man die Energie zwischen Rebe, Mensch, Erde und Sternen fördern möchte, um positive Effekte für die Pflanze und somit auch für den fertigen Wein nutzen zu können.
Biodynamische Landwirtschaft: ein Jahrhundert alt
Das Konzept der Biodynamik beruht auf einer Vortragsreihe, die 1924 der österreichische Philosoph Rudolf Steiner (1861-1925) präsentierte. Darin macht er chemischen Dünger für Pflanzenkrankheiten – besonders in Monokulturen – verantwortlich und stellt eine ganzheitliche, homöopathische Art der Landwirtschaft vor. Damit wurde die Biodynamik sogar 20 Jahre vor der biologischen und ökologischen Landwirtschaft etabliert.
Bereits im selben Jahr gründete sich der Anbauverband Demeter, der noch heute der wichtigste und größte biodynamische Zusammenschluss ist – auch für Weingüter. Rudolf Steiner begründete zudem die spirituell-esoterische Weltanschauung namens Anthroposophie und entwickelte die Waldorf-Pädagogik.
Im Übrigen: Bei genauerer Betrachtung sind die Überlegungen hinter Biodynamik nicht komplett neu. Bereits die alten Griechen und Ägypter haben den Einfluss des Mondes auf die Landwirtschaft beobachtet und sich zunutze gemacht. Diese Zusammenhänge waren damals selbstverständlich. Erst die immer weiter zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft hat dieses althergebrachte Wissen in Vergessenheit geraten lassen.
Biodynamischer Weinbau – die Prinzipien
Für den biodynamischen Weinbau sind heute alle Maßnahmen des biologischen Weinanbaus eine Grundvoraussetzung. Die Biodynamik stellt dabei eine verschärfte Form des biologischen Weinbaus dar.
Der größte Unterschied besteht in der Tatsache, dass biodynamischer Weinbau versucht, das gesamte Ökosystem zu berücksichtigen. Natürliche Ressourcen sollen geschont werden und die Lebensprozesse im Zusammenwirken irdischer und kosmischer Kräfte gezielt gefördert werden. So ist es wenig verwunderlich, dass das Hauptaugenmerk den Arbeiten im Weinberg gilt und weniger denen im Keller.
Konkret bedeutet dies, dass sich der Rebschnitt, das Düngen, das Jäten und auch die Ernte nach einem biodynamischen Kalender orientieren. Zudem sollte der Boden einmal im Jahr gepflügt werden – wenn möglich mit einem Pferdegespann und nicht mit einem Traktor. In Folge kommt spezieller Kompost zum Einsatz, um den Boden zu revitalisieren und mit Mineralien zu versorgen. Auf diese Weise bleibt er das Zuhause vielfältiger Mikroorganismen. Trotz der Monokultur entsteht auf diese Weise ein natürliches Gleichgewicht.
Weinbau und der biodynamische Kalender
Der biodynamische Kalender wurde von der Biodynamie-Pionierin, Maria Thun, in der 1960er-Jahren entwickelt. Darin werden alle Tage eines Jahres in vier Kategorien unterteilt: Wurzel-, Frucht-, Blüten- und Blatt-Tage – in Anlehnung an die Elemente Erde, Feuer/Wärme, Licht/Luft und Wasser. Diese geben eine klare Handlungsempfehlung für den biodynamisch arbeitenden Winzer:
Frucht-Tage (Wärme/Feuer):
Beste Tage für die Ernte
Wurzel-Tage (Erde):
Ideale Tage für den Rebschnitt
Blüten-Tage (Licht/Luft):
An diesen Tagen sollte keine Arbeit im Weinberg ausgeführt werden
Blatt-Tage (Wasser):
Sind ideal, um die Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen
So würde man beispielsweise nie an einem Blatt-Tag ernten, da das Element Wasser Fäulnis begünstigt und für „mit Wasser verstopfte“ Trauben sorgen könnte.
In diesem Zusammenhang: Weinproben sollten am besten nur an Blüten- oder Frucht-Tagen stattfinden.
Biodynamische Präparate
Im biodynamischen Weinbau sind logischerweise keine Chemikalien erlaubt, aber auch keine künstlich hergestellten Stoffe wie Reinzuchthefen. Stattdessen stellen die Winzer spezielle Kompost-Zubereitungen mit natürlichen Zutaten her, um ihre Weinberge zu stärken. Die sogenannten Präparate. Diese sollen die natürlichen Kräfte der Weinrebe und des Bodens stärken.
Ein biodynamisch arbeitender Winzer füllt beispielsweise einmal im Jahr sechs Kuhhörner mit Kuhdung und vergräbt sie für sechs Monate in der Erde. Anschließend wird der Dung in lauwarmem Wasser aufgelöst. Diese Brühe wird dann in einem runden Behälter, zuerst im Uhrzeigersinn, dann gegen den Uhrzeigersinn 20 Minuten gerührt.
Die Flüssigkeit wird anschließend tröpfchenweise über die Rebflächen gesprüht – und das nur am späten Nachmittag, wenn die Sonne langsam schwindet. Nur 120 Gramm von diesem „dynamisierten“ Dünger genügen, um auf einem Hektar das Wurzelwachstum der Reben positiv anzuregen.
Auch mit Quarz-Staub und Aufgüssen aus Kräutern werden spezielle Präparate für den biodynamischen Weinbau hergestellt. Dabei werden immer kosmische Kräfte wie Mondphasen und Gestirns-Konstellationen berücksichtigt.
Sind biodynamische Weine besser?
Wissenschaftlich lässt sich die Wirksamkeit dieser Präparate nicht belegen, doch sind die Resultate völlig eindeutig. Ein konventionell bewirtschafteter Weinberg besitzt einen kahlen Boden, die Reben sind schlank und hoch und haben fleischige Blätter mit dicken Trauben. Klarer Ausdruck einer Monokultur.
In biodynamischen Rebzeilen zeigt sich ein anderes Bild: Der Boden ist mit Gräsern und Kräutern bewachsen, die Reben sind knorrig, das Blattwerk ist vergleichsweise licht und die Früchte klein und prall. Nur eine natürlich eingebettete Nutzpflanze zeigt diese Eigenschaften.
Das Wichtigste: Praktisch alle biodynamisch arbeitenden Winzer sind davon überzeugt, dass durch diesen Unterschied die Qualität ihrer Weine besser geworden ist. So verfolgen selbst Weinmacher diese Praktiken, die an der esoterischen Prägung nicht unbedingt Interesse zeigen, sondern schlichtweg besseren Wein machen möchten.
Biodynamik-Verbände & Produzenten
Wie bereits erwähnt, ist Demeter der älteste, mittlerweile weltweit agierende Biodynamik-Verband: Mitglied ist beispielsweise Chapoutier (Rhône) . Ein weiterer Verband ist Biodyvin, der beispielsweise Bürklin-Wolf (Pfalz) als Mitglied zählt. Zuletzt wäre noch respekt-BIODYN zu nennen. Diesem Verband vertraut sich unter anderem das Weingut Wittmann (Rheinhessen) an. Mit letztgenanntem Weingut, genauer gesagt Winzer Philipp Wittmann, haben wir in unserem „Bei Anruf Wein“ Podcast bereits über biodynamischen Weinbau gesprochen.