Weißwein aus dem Bordeaux: nobles Schattendasein
Am 23. Dezember 2022 · von Cédric GarraudWas viele Weinfreunde nicht wissen: Die renommierte Weinregion Bordeaux ist nicht nur für rote Cuvées von Weltruhm bekannt, von hier stammen auch einige der besten Weißweine der Welt – trocken und edelsüß. Vor vielen Jahrzehnten entstand noch viel Weißwein im Bordeaux, heute sind nur etwa sieben Prozent aller Weine aus der Region weiß. Erstaunlich, wenn man weiß, dass der Bordeaux mit der höchsten Klassifizierungsstufe überhaupt ein Weißwein ist. Cédric hat sich dem weißen Bordeaux angenommen.
Weiße Rebsorten im Bordeaux
Im Verschnitt mit Sauvignon Blanc ist es die weniger bekannte Rebsorte Sémillon, die für erstklassige Weißweine aus dem Bordeaux steht. Neben der Frische und Aromatik des Sauvignon Blanc, verleiht Sémillon den Weinen mehr Körper und Struktur. Muscadelle spielt zwar eine Nebenrolle, aber auch sie ist in vielen weißen Bordeaux-Cuvée zu finden und steuert eine zarte Blumigkeit bei.
Bei den edelsüßen Weinen aus dem prestigeträchtigen Sauternes besitzt Sémillon einen besonderen Stellenwert, denn die Rebsorte hat eine sehr dünne Schale, wodurch die Beeren für die Botrytis genannte Edelfäule besonders anfällig sind. Grundvoraussetzung für die typische Stilistik eines süßen Weißweins aus dem Bordeaux. Dazu aber später mehr.
Die Rebfläche im weißen Bordeaux ist praktisch zu gleichen Teilen mit Sémillon und Sauvignon Blanc bestockt (je etwa 45 %), hinzu kommen 5 % Muscadelle. Den Rest stellen Rebsorten wie Ugni Blanc, Colombard, Sauvignon Gris und Merlot Blanc.
Bordeaux Appellationen für trockene Weißweine
Nur wenige Appellationen im Bordeaux sind für die Erzeugung von trockenen Weißweinen zugelassen. In der großen Appellation Entre-Deux-Mers, die mit ihrem Namen auf die Lage zwischen den Flüssen Garonne und Dordogne hinweist, darf wiederum nur Weißwein angebaut werden, um die Appellations-Bezeichnung tragen zu dürfen.
Die hochwertigsten Weißweine im Bordeaux stammen aus den Appellationen Graves sowie Pessac-Léognan. Es sind die Weinanbaugebiete mit der kürzesten Entfernung zu Bordeaux-Stadt. In der Appellation Graves existieren keine Abstufungen in der Klassifikation, im Gegensatz zu der aus dem Jahr 1855 im Médoc und Sauternes.
Alle klassifizierten Weine dürfen sich in Graves Cru Classé nennen. Die Appellation Pessac-Léognan wurde erst nach der Klassifizierung von Graves eingerichtet. Als Ergebnis liegen heute sämtliche Graves Cru-Classé-Châteaux innerhalb von Pessac-Léognan.
In den Appellationen Graves und Pessac-Léognan werden auch Rotweine erzeugt – in Pessac-Léognan ist etwa das legendäre Weingut Château Haut-Brion zuhause.
Weißer, trockener Bordeaux: die Stilistik
Aus Pessac-Léognan stammen viele der besten trockenen Weißweine des Bordeauxs. Auch diese sind Cuvées aus Sauvignon Blanc und Sémillon. Allerdings werden die Weine nicht selten in neuen Eichenfässern vergoren und/oder ausgebaut, was ihnen einen mittleren bis vollen Körper und Toastnoten verleiht.
Weißer Graves und Entre-Deux-Mers wird größtenteils aus Sauvignon Blanc ohne Eichenholzeinfluss produziert. Im unteren Preissegment sind die Weine größtenteils frisch und fruchtig. Sie werden meistens in Edelstahltanks vinifiziert und nicht in Holz gereift. So entstehen Weine, die eine hohe Alltagstauglichkeit besitzen.
Wie schmeckt ein trockener, weißer Bordeaux?
Es gibt zwei Hauptrichtungen von weißem, trocken ausgebautem Bordeaux: Leicht und fruchtig oder reichhaltig und cremig. Leichte und fruchtige Stile aus Entre-Deux-Mers machen den Großteil der weißen Bordeauxs aus und sind im Allgemeinen vergleichsweise preisgünstig. Die Premiumweine aus Pessac-Léognan und Graves sind reichhaltig und cremig, die Produktionsmenge klein und die Preise entsprechend hoch.
Leicht und fruchtig
Diese Weine bieten in der Regel intensive, Sauvignon-Blanc-typische Aromen von Zitrusfrüchten, Grapefruit, Zitrone, Stachelbeere und Limette. Dazu kommen Noten von frischem Gras, Honig, Passionsfrucht und Geißblattblüten.
Reichhaltig und cremig
Die Rebsorte Sémillon spielt bei diesen Weißweinen meist eine größere Rolle in der Cuvée. Im Ergebnis sind die Weine am Gaumen sehr gut strukturiert. Aromen von reifen Äpfeln und Birnen, Orangenschalen, Ingwer, Feigen und Kamille sind hier häufig zu entdecken.
Edelsüße Weine aus Sauternes – die weiße Bordeaux-Königsklasse
Die besten Appellationen für Bordeaux-Süßweine erstrecken sich an den Ufern der Garonne und ihres Nebenflusses Ciron. Sauternes ist das namhafteste Anbaugebiet, aber auch in Barsac entstehen viele hochwertige Exemplare.
Die Appellation Sauternes steht bereits seit Jahrhunderten für begehrte Süßweine der absoluten Spitzenklasse. Die besten Rebflächen verfügen über ein spezielles Mikroklima, das durch die Flussnähe Frühnebel begünstigt und dadurch der Edelfäule Botrytis auf der Beerenhaut beste Voraussetzungen bietet.
Der Schimmelpilz hat bei der dünnschaligen Rebsorte Sémillon leichtes Spiel und ernährt sich hauptsächlich von dem Wasser in den Beeren. Was wie eine Rebkrankheit klingt, sorgt für unglaublich konzentrierte, süße Trauben, die nur noch einen sehr geringen Ertrag erbringen. Vergleichbar mit der Dehydrierung der Trauben bei einer Trockenbeerenauslese.
In Kombination mit dem säurebetonten Sauvignon Blanc entstehen Süßweine höchster Qualität, die nicht selten ein Alterungspotential von über 100 Jahren mitbringen.
Château d’Yquem – höchste Klassifizierung
Was nur wenigen Weinfreunden bekannt sein dürfte: Die Grand Cru Classé Klassifikation, die 1855 anlässlich der Weltausstellung in Paris festgelegt wurde, umfasst nicht nur Rotweine aus dem Médoc, sondern auch die edelsüßen Weine aus der Appellation Sauternes.
Im Médoc wurden die Châteaux in fünf Stufen eingeteilt – Premier Grand Cru Classé bis Cinquième Grand Cru Classé. Im Sauternes existieren indes nur drei Stufen. Die größte Besonderheit: An der Spitze steht das Château d’Yquem mit einer Klassifizierung als Premier Grand Cru Classé Supérieur. Der Zusatz Supérieur ist im ganzen Bordeaux einzigartig und macht die Süßweine vom Château d’Yquem zu den höchstklassifizierten im gesamten Bordeaux.
Die Herstellung eines Süßweins im Sauternes ist extrem aufwendig. Die Lese erfolgt zum Teil Beere für Beere, der Ertrag ist durch den Wasserentzug infolge der Botrytis-Edelfäule extrem niedrig und der Ausbau der Weine in Eichenholzfässern teuer.
Dementsprechend hoch sind die Preise für Wein aus dem Sauternes – selbst in der häufig genutzten, halben Flasche, dem Demi Bouteille genannten Flaschenformat. Eine Flasche Château d’Yquem ist Jahrgang für Jahrgang in einem dreistelligen Preisbereich angesiedelt.
Wie schmeckt ein Süßwein aus dem Sauternes?
Die besten Exemplare begeistern durch eine extrem vielschichtige Aromatik. Überreife Aprikosen, Honig, Karamell, Kokosnuss, Ingwer, tropische Früchte und Zitrusfrüchte sind nur einige typische Beispiele. Eine weitere Stärke der Süßweine aus dem Bordeaux liegt in der Ausgewogenheit zwischen Süße und Säure. Trotz eines Restzuckergehalts von über 100 Gramm pro Liter wirken die Weine nicht übermäßig zu süß oder gar klebrig. Dafür verantwortlich ist die knackige Säure, die der Sauvignon Blanc beisteuert. In den besten Weinen herrscht eine perfekte Balance beider Einflüsse.
Sauternes ist auch ein hervorragender Begleiter von Essen. Allerdings serviert man ihn in Frankreich nicht etwa zu Desserts, vielmehr ist Foie Gras – Entenstopfleber – die klassischste und edelste Kombination. Auch zu dem intensiven Roquefort Käse wird ein Sauternes zum Abschluss eines aufwendigen Mahls gerne gereicht.