Jancis Robinson: Grande Dame der internationalen Weinkritik
Am 26. Januar 2018 · von Jürgen OverheidDie Grande Dame der Weinkritik
Wer über die einflussreichste Frau in der Weinwelt nachdenkt, wird schnell auf Jancis Robinson kommen. Warum man damit absolut richtig liegt, erklärt uns Weinfreund Jürgen Overheid in seinem Porträt der unbestechlichen Weinkritikerin, unangefochtenen Expertin für Rebsorten und leidenschaftlichen Weinvermittlerin.
Wer an der Grenze zu Schottland das Licht der Welt erblickt, scheint eher mit Whisky als mit Wein verwandt zu sein. Nicht so bei Jancis Robinson, die aus der Grafschaft Cumbria im Nordwesten Englands auszieht, um der weiten Welt des Weins ihren sichtbaren Stempel aufzudrücken. Das ahnt selbstverständlich keiner, als am 22. April 1950 die kleine Jancis ihre erste Verkostungsnotiz von der Welt nimmt. Auch als sie sich für ein Mathematik- und Philosophie-Studium in Oxford entscheidet, ist kaum zu vermuten, dass hier eine spätere Expertin für Rebsorten und Weinkritik ihre Karriere startet.
Nach dem Studium arbeitet Robinson zunächst im Marketing eines großen Reiseanbieters, bevor sich 1975 die Wende zum Wein vollzieht. Sie beginnt für das Magazin „Wine & Spirits“ zu schreiben und macht sich schnell einen Namen. Weitere Fachmagazine folgen, bald sind es auch die großen englischen Tageszeitungen, die ihr die Weinkolumne anvertrauen. Bis heute ist Robinson dieser Tätigkeit treu geblieben und beglückt die Financial Times alle 14 Tage mit einer Weinkritik.
Zudem ist ihre Webseite mittlerweile eines der meist frequentierten Portale für Wein-Enthusiasten aus aller Welt.
Weinratgeberin auf allen Kanälen
Ab 1983 ist Robinson auch im Fernsehen präsent. Doch damit immer noch nicht genug. Bereits 1986 erscheint mit „Vines, Grapes & Wines“ (dt. „Reben, Trauben, Weine“) ein bis heute maßgebliches Buch zum Thema. Ein noch ausführlicheres wird es mit „Wine Grapes“ (dt. „Rebsorten“) erst 2012 geben – natürlich ebenfalls von Jancis Robinson und ihrer langjährigen Kollegin Julia Harding. Es folgen mit dem „Oxford Companion to Wine“ (dt. „Oxford Weinlexikon“) sowie dem gemeinsam mit Hugh Johnson herausgegebenen „The World Atlas of Wine“ (dt. „Weinatlas“) weitere Standardwerke der Weinliteratur.
Es ist wahrscheinlich schneller, die Auszeichnungen aufzuführen, die Jancis Robinson und ihre Publikationen noch nicht erhalten haben. Die Liste der internationalen Prämierungen und Ehrenmitgliedschaften ist ebenso beeindruckend wie verdient. Davon ist übrigens auch Queen Elisabeth überzeugt, die Robinson schon 2004 zum „Member of the Royal Household Wine Committee“ ernennt und sie damit zur Ratgeberin für ihren majestätischen Weinkeller macht.
Master of Wine Robinson vs. Weinpapst Parker
Mehr als Ehrbekundungen für ihre Verdienste um die Weinbranche sind diese Auszeichnungen jedoch Anerkennung für ihre außergewöhnliche Fachkompetenz. Robinson ist seit 1984 „Master of Wine“ und damit die erste Person überhaupt, die diesen renommierten Titel führen darf, die weder Erzeuger noch Händler ist. Diese besondere Expertise unterscheidet sie beispielsweise von Robert Parker, der zwar mindestens ebenso wirkungsmächtig Weine besprochen hat, aber sich weder mit solchen weinakademischen Weihen noch Fachpublikationen von vergleichbarem Wert hervorgetan hat. Wenig überraschend also, dass Robinson auch nicht die Auseinandersetzung mit Weinpapst Robert Parker scheut und sie regelmäßig dezidiert andere Beurteilungen von vermeintlich großen „Parker-Weinen“ abgibt.
Augenfällig ist ein weiterer, formaler Unterschied zwischen Parker und Robinson. Während Parker die Weine anhand des eigenen 100-Punkte-Systems beschreibt, hält Jancis Robinson an dem traditionellen 20-Punkte-Schema fest. Ihre Bewertungen gelten als streng und eher zurückhaltend, stets als gut begründet und nie als unfair. Um von ihr 18 oder gar mehr Punkte zu erhalten, bedarf es schon einer außergewöhnlichen Güte
Weinexpertin und Weinliebhaberin
Auf Titel gibt Jancis Robinson nicht viel, auf Ihre Kenntnisse sowie ihre Liebe zum Wein dagegen sehr viel. Denn Wein einfach mal genießen, bei einem Glas Wein mit Freunden beisammen sitzen, sich des Geschmackserlebnisses erfreuen … all das sind Pluspunkte, die in die eigentliche Weinkritik nicht eingehen. Doch gerade auf das scheinbar einfache Vergnügen am Wein will auch die Grande Dame der internationalen Weinkritik nicht verzichten. Und so schimmert ein wenig ihre philosophische Ausbildung durch, wenn sie weinfreundschaftlich bekennt:
„I consider myself a wine connoisseur most days and a wine lover every night.“
(Ich betrachte mich an den meisten Tagen als Weinkennerin, aber jeden Abend als Weinliebhaberin).
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