Gereifte Weine: Die Kunst des Alterns

Am 10. Mai 2024 · von Theresa Weber

Gereifte Jahrgänge aus den besten Appellationen der Weinwelt gelten als Vollkommenheit des Weingenusses. Mit überragender Vielschichtigkeit und nahezu wundersamer Balance sind solche Weine ein Hochgenuss. Doch bis dahin ist es ein langer Weg, der längst nicht allen Weinen vorgezeichnet ist.

Es gibt sie, diese Weine, die nach Abfüllung noch zehn Jahre und mehr brauchen, um auf dem Zenit ihres potentiellen Vermögens zu sein. Doch um direkt mit einer landläufigen Fehleinschätzung aufzuräumen: Ein Wein wird nicht automatisch besser, nur weil er älter wird. Nicht alle Weine beherrschen die Kunst des Alterns und fordern berechtigt so viel Geduld und gute Lagerung ein.

Wein: Naturprodukt mit Verfallsdatum

Ein Wein verlangt nach bestimmten Qualitäten, um die lange Reise der Reife anzutreten. Dabei geht es auf der simplen Ebene erst einmal um die Haltbarkeit des Lebensmittels Wein. Verantwortlich sind dafür die Bestandteile Alkohol, Säure, Tannin (Gerbstoff), aber auch Zucker. Doch das Ganze muss ins rechte Gleichgewicht gebracht werden, gerade mit Blick auf die lange Reifeperiode. Denn all diese Inhaltsstoff sind biologischen Prozessen unterworfen, das heißt, sie verändern mit der Zeit ihre Eigenschaften. Bekanntestes Beispiel ist sicherlich das Tannin, das sich in jungen Weinen ruppiger und kräftiger bemerkbar macht, als bei lang gereiften Exemplaren. Doch leider verliert mit der Zeit auch die Säure an Kraft und die Fruchtaromen schwächen sich gleichfalls ab. Daher gilt es, immer das rechte Maß der Reife im Blick zu haben, denn es kommt der Zeitpunkt, an dem die gewonnene Harmonie wieder aus dem Gleichgewicht kommt. Ab dann verliert der Wein sukzessive an Qualität.

Gereifte Weine: Tertiäre Aromen

Die Aromen, die im Wein zu riechen und zu schmecken sind, unterteilen Weinexperten in drei Klassen. Mithilfe dieser Aromatypen lässt sich der Unterschied zwischen einem jungen und einem gereiften Wein schnell erklären. Unter die Primären Aromen fallen alle Aromen, die unmittelbar aus den Trauben stammen, also die Fruchtaromen sowie die floralen und würzigen Noten, die sich nach der alkoholischen Gärung im ganz jungen Wein zeigen. Die Weinerzeugung durch Menschenhand sorgt dann für die Sekundären Aromen. Das meint in erster Linie die Zeit des Ausbaus in Holzfässern oder eine eventuelle Verweildauer des Weins auf der Hefe. Bei gereiften Weinen lassen sich jedoch noch Tertiäre Aromen ausmachen. Sie entstehen durch eine lange Reife.

Holzfässer

Holzfassreifung setzt sich in Flaschen fort, neue Aromen entstehen, bestehende verändern sich. Oxidation beeinflusst den Geschmack, Farbe weist auf Alterung hin.

Oxidation: Antrieb der Weinreife

Der Reifeprozess, der im Holzfass begonnen hat, setzt sich in gelagerten Flaschen fort. Es kommen neue Aromen hinzu und vorhandene Aromen verändern sich. Beispielsweise wandeln sich frische Fruchteindrücke zu Noten, die an Trockenfrüchte erinnern – ein tertiäres Aroma. Ist der Holzeinfluss anfangs noch sehr präsent, kann er sich bei gut gereiften Weine nahezu komplett verflüchtigen. Die fortschreitende Oxidation – oder auch Mikrooxidation genannt – verändert den Geschmack. Strebt die Vielschichtigkeit des Weins dank des Kontakts mit Sauerstoff zu Beginn noch ihrem Höhepunkt zu, zerstört die Oxidation irgendwann die sensible Balance. Nicht zuletzt lässt sich der Alterungseffekt auch an der Farbe des Weins ablesen. Rotweine zeigen sich in einem zunehmenden Braunton, bei Weißweinen verschiebt sich das Spektrum zu bernsteinfarbenen Tönen.

Von Sekundäraromen zur Tertiäraromen

Die Aromen, die durch den Ausbau im Holzfass entstehen – die Sekundäraromen –bekommen die Zeit gleichfalls zu spüren, sprich: Auch sie verändern sich. So kreiert der Wein neue sensorische Eindrücke, die kennzeichnend für eine lange Flaschenreife sind. Die einschlägigen Beschreibungen aus den Verkostungsnotizen gereifter Rotweine sind Erde und Pilze, überhaupt feuchter Waldboden, aber auch Fleisch und Wildbret, bis zu Leder, Tabak und Trockenfrüchte. Bei Weißweinen lassen sich Töne von Petrol, sogar Benzin, aber auch Eindrücke von Gewürzen wie Muskat, Ingwer oder Zimt, von Nüssen und Honig finden. Wichtig ist, dass diese neuen Geschmackseindrücke mit den primären und sekundären Aromen harmonieren und nicht die Oberhand gewinnen. Allerdings ist dies auch eine Frage der persönlichen Weinvorlieben.

Reifeprüfung: drei Altersstadien

Im Prinzip lassen sich drei Stadien der Reife des Weins unterscheiden. Den Anfang markiert die Etappe, in der sich die ersten Tertiäraromen zeigen, wohl wissend, dass sie sich noch verändern werden. Die einzelnen Aromen geben sich noch ungestüm, ihnen fehlt noch das Zusammenspiel mit dem Geschmacksbild des Weins. Ist dieser Prozess abgeschlossen, gilt der Wein als voll gereift. Alles ist im rechten Maß an seinem Ort und der Wein entfaltet seine ganze Vielschichtigkeit in Top-Form. Ab jetzt ist Großes vom Wein zu erwarten. Hat der Reifeprozess hingegen seinen Höhepunkt überschritten, gilt der Wein mitleidsvoll als „müde“. Wer zu spät trinkt, wird auch im Weinleben bestraft. Doch keine Sorge, gute Weine halten den Status voll gereift einige Jahre lang.

Hilfestellung: Trinkfenster und Trinktabellen

Umso mehr stellt sich die Frage, wann der Wein denn nun zu trinken ist. Die Fachsprache hält dafür den schönen Ausdruck „Trinkfenster“ bereit. Allerdings kann sich dieses Trinkfenster während eines langen Reifeprozesses wieder schließen. Dann benötigt der Wein nochmals Zeit, um sich erneut zu öffnen. Wie aber wissen wir, wie weit ein Wein in der Reife vorangeschritten ist, ohne ihn probiert zu haben? Noch viel mehr, wenn nur eine oder zwei Flaschen im Keller liegen. In diesem Fall bleiben nur vieltrinkende Experten oder die Schwarm-Intelligenz als Orientierungshilfe. Fachmagazine, Weinkritikerinnen und -kritiker geben oft auch eine Einschätzung des Reifepotentials eines Weins ab, zudem veröffentlichen sie Trinktabellen, in denen die Trinkfenster der einzelnen Jahrgänge einer Weinregion vermerkt sind. Ein Tipp sind auch große Plattformen, in denen Wein-Fans ihre Einschätzung eines Weins und Jahrgangs der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Das hilft bei der Entscheidung: auf die Flasche oder noch warten.

Weinflaschen

Ein kurioser Fakt: Einige der teuersten Weine stammen aus Regionen mit extremen Wetterbedingungen, wie dem heißen Sommer und den kalten Wintern im Piemont für den Barolo-Wein.

Gereifte Weine: die üblichen Verdächtigen

Nicht alle Weine sind dazu bestimmt, in jahrelanger Reife ihrem Höhepunkt entgegenzustreben. Stellt man die Frage, welche Weine beziehungsweise Anbaugebiete überhaupt in Betracht kommen, landet man schnell bei den üblichen Verdächtigen. An erster Stelle mit dem Bordeaux und dem Burgund die beiden Topadressen der Weinwelt. Barolo, Barbaresco und Brunello di Montalcino sind in Italien zu nennen, Spanien bietet sich mit der Rioja und dem Anbaugebiet Ribera del Duero an … um nur einige Beispiele für Rotweine zu nennen. Bei den Weißweinen sind es Riesling oder Klassiker wie Chablis und Sancerre, die eine lange Reife vertragen – wenn man dies überhaupt so pauschal sagen darf.

Geschmackssache: reife Vorlieben

Gereifte Weine sind ein komplexes Thema und wer sich an diese Weine macht, hat viel zu bedenken. Für gute, gereifte Weine braucht es Muße und Zeit, um das Erlebnis zu würdigen. Schließlich hat es lange genug bis zu adiesem Moment gedauert.

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