Polyphenole im Wein: versprechen sie gesundheitliche Vorteile?
Am 7. Mai 2024 · von Daniel MünsterPolyphenole – klingt künstlich, ist es aber nicht. Diese chemischen Stoffe kommen natürlich in der Traube vor und haben großen Einfluss auf Farbe und Geschmack eines Weins. Doch mittlerweile interessiert noch ein anderes Talent der Polyphenole.
Ein bisschen Chemie muss sein, wenn das Zusammenwirken der natürlichen Inhaltsstoffe von Wein in den Blick rückt. Das beginnt nicht erst mit der alkoholischen Gärung und dem Biologischen Säureabbau (BSA), sie wandeln nur bereits vorhandene Stoffe wie Zucker oder Apfelsäure in neue Stoffe wie Alkohol und Milchsäure um. Vorab gilt es zu verstehen, welch wertvollen chemischen Cocktail die Traube als Grundzutat des Weins liefert. Schließlich sorgen verschiedene Stoffe dafür, dass ein Wein ein bestimmte Farbe hat, eine Rebsorte an ihren typischen Aromen zu erkennen ist oder er sich im Mund besonders samten oder füllig anfühlt.
Polyphenole: von Anfang an dabei
Was am Ende an Inhalts- und Zusatzstoffen im Wein zu finden ist, müssen nach neuer Gesetzeslage Front- und Rückenetikett deklarieren: von Allergenen bis Nährwertangaben, von Vitaminen bis Sulfiten. Wie aber sieht die chemische „Eingangsbilanz“ des Safts aus Weintrauben aus? Für alle, die Wein genießen und ihn mit verschiedenen Sinnen bewusst wahrnehmen, heißt die erste Antwort: Polyphenole. Das sind mehrere hundert Stoffe, die im Saft und im Fruchtfleisch der Beeren, in den Traubenkernen und den Beerenschalen, aber auch in den Stielen der Traube vorkommen, und Einfluss auf die Farbe, den Geruch, den Geschmack und die Textur eines Weins haben.
Polyphenole ist ursprünglich die Bezeichnung für eine chemische Stoffgruppe – OK. Diese Stoffgruppe lässt sich in die Flavonoide und nicht flavonoide Substanzen aufteilen – klar doch. Sofort greifbar wird das Wirken der Polyphenole allerdings, wenn man es auf geläufige Bezeichnungen herunterbricht. Unter Farbstoffen, Gerbstoffen, Geschmacksstoffen kann sich in der großen Weingemeinde jeder etwas vorstellen. Der Duft von Früchten im Wein, das strahlende Rubinrot im Glas oder ein rauer Belag auf der Zunge – all das ist ohne das Zutun der Polyphenole nicht denkbar.
Polyphenole: zum Beispiel
Polyphenole finden sich in vielen Pflanzen, aber in Obst und Gemüse und natürlich im Wein zeigen sie ganz besonders, was sie draufhaben. Wem chemische Begriffe gefallen, wird an den Details seine Freude haben: Anthocyanidin und Proanthocyanidin heißen die Polyphenole, die im Rotwein für die dunkle Farbe sorgen. Resveratrol, gleichfalls im Rotwein zu finden, schreiben einige Studien sogar eine positive Wirkung auf die Gesundheit zu. Dabei hat dieses Polyphenol eigentlich etwas mit der Weinfarbe zu tun. Resveratrol ist zuallererst ein Abwehrstoff, den die Beeren gegen Pilzerkrankungen wie Echter und Falscher Mehltau sowie gegen zu starke UV-Strahlung ausbilden, und zählt zu den Antioxidantien. Für die dunklere Farbe im Rotwein sorgen zudem Anthocyane. Tyrosol und Hydroxytyrosol sind dagegen Polyphenole, die eher im Weißwein zu finden sind, und für die Ausbildung von Aromen sorgen.
Teamwork: Polyphenole und Weinerzeugung
Ohne Zweifel sind Polyphenole natürliche Substanzen, doch auch die Handgriffe von Winzerin und Weinmacher haben ihren Einfluss auf die „Chemical Brothers“ im Wein. Eine lange Maischestandzeit erhöht beispielsweise den Anteil der farbgebenden Substanzen, aber auch von fruchtinspirierten Aromen. Un-chemisch gesprochen: Farbe, Duft und Geschmack machen das Mehr an Polyphenolen im Wein unseren Sinnen erkennbar.
Noch anschaulicher für die Zusammenarbeit von Mensch und Polyphenol ist die Reife im Holzfass. Denn dabei wirken Polyphenole, die im Holz zu finden sind, zusätzlich geschmacklich auf den Wein ein. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit kennt man aus Verkostungsnotizen als Holzeinfluss oder als Noten von Vanille und Karamell im Wein und in den sanft geschliffenen Tanninen, sprich Gerbstoffen. Plötzlich sind Polyphenole am Werk, die nicht aus den Trauben stammen, sondern ihr Einwirken den Entscheidungen im Keller verdanken. Auf der Polyphenol-Ebene zeigt sich die Tragweite jeder einzelnen Entscheidung von der Lese bis zur Flaschenabfüllung für die geschmackliche Güte des Weins. Polyphenole sind letztlich auch ein Stilmittel der Winzer.
Polyphenole zum Wohl: von Wein und Mensch
Ein wenig verpönt ist es allerdings, über die positive Wirkung der Polyphenole auf die menschliche Gesundheit zu sprechen. Es gilt vielen als Ausrede und für werbende Aussagen, die einen gesundheitsfördernden Effekt auch nur andeuten, gibt es schnell juristischen Ärger. Tatsächlich existieren aber einige wissenschaftliche Studien, die den antibakteriellen und antioxidativen Effekt der Polyphenole herausstellen. Damit nicht genug, finden sich sogar Nahrungsergänzungsmittel, die auf die Anthocyane aus den Trauben bauen. Diese oligomere Procyanidine (OPC) genannten Substanzen versprechen die Stärkung des Immunsystems und des Herz-Kreislauf-Systems, gut zu sein für die Nieren, die Augen und die Haut – ganz ohne Alkohol.
Ins Rollen kam die Forschung zu den Polyphenolen, weil Wissenschaftler das sogenannte „französische Paradox“ erklären wollten. Es verweist – vereinfacht gesprochen – auf den Widerspruch von deutlich weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der französischen Bevölkerung trotz überdurchschnittlichen Konsums von Wein und Olivenöl. In den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Aufklärung rückten daraufhin das Resveratrol aus dunklen Trauben sowie Hydroxytyrosol, ein Polyphenol, das in Oliven vorkommt. Gesundheitsfördernd hin, gesunder Menschenverstand her, sich ausschließlich von Rotwein und Olivenöl zu ernähren, ist sicherlich keine gute Idee. Auch Polyphenole haben ihre Grenzen.