Absinth: Wermut mit Attitüde
Am 10. Februar 2023 · von Stefan BehrHochkultiviert und illegal, geheimnisvoll und nicht zu entzaubern. Unser Kollege Stefan folgt den Verheißungen der „Grünen Fee“ und will uns wohl wissend zum Absinth verführen.
Was haben Schriftsteller wie Arthur Rimbaud, Paul Verlaine, Charles Baudelaire und Oscar Wilde mit den Malern Édouard Manet, Toulouse-Lautrec, Edgar Degas und van Gogh gemeinsam? Die Liebe zum Absinth lautet die richtige Antwort. Dabei sind dies nicht einmal alle namhaften Künstler, die sich zu der hochprozentigen Kräuterspirituose bekannt haben. Die komplette Aufstellung läse sich wie ein Who’s who der Malerei und Literatur der Belle Époque. Allein das trägt dem Absinth seinen ebenso legendären wie geheimnisvollen Ruf ein.
Mythos Absinth: die Grüne Fee kann nicht entzaubert werden
Die Grüne Fee, la fée verte, ist damals der zweite Name für den Absinth, der bereits auf die inspirierende, zu Gedankenspielen verführende Wirkung des Getränks abhebt – neben der typischen, grünen Farbe der Spirituose. Entsprechende Darstellungen in der Malerei, vor allem aber die vielen Werbeplakate der Zeit spielen darauf immer wieder an. Einem Wirkstoff unter den typischen Absinth-Kräutern unterstellt man sogar, Halluzinationen auszulösen. Dabei handelt es sich um das Thujon, das manche Unkundige bereits zum LSD des Fin de Siècle erheben wollten.
Ein Mythos, der aus streng wissenschaftlicher Sicht nicht zu halten ist. Zwar zählt das Thujon zu den Alkaloiden, deren berauschende Wirkung unstrittig ist. Jedoch müsste man soviel Absinth zu sich nehmen, um die entsprechende Dosis intus zu haben, dass man todsicher zuvor einer Alkoholvergiftung erläge. Also das Thujon im Absinth ist keinesfalls der Grund dafür, dass sich Vincent van Gogh ein Ohr abschnitt. Das bleibt ganz prosaisch der hohe Alkoholgehalt. Fakt ist aber auch, dass all diese Geschichten der Beliebtheit der Spirituose keinen Abbruch tun – siehe Künstler.
Die Geschichte: von der Medizin zur verbotenen Spirituose
Tatsächlich fängt die Geschichte des Absinths mit dem französischen Arzt Pierre Ordinaire an, der Ende des 18. Jahrhunderts auf das bekannte Heilkraut Wermut zurückgreift, um in der Schweiz ein Wohlfühl-Tonikum zu kreieren. Sein Destillat kopiert ein ortsansässiger Brenner und der Absinth, benannt nach dem lateinischen Namen für Wermut, Artemisia absinthium, ist geboren. Wenig später macht sich auch ein Destillateur in Frankreich daran, die Spirituose herzustellen. Sein Name ist Henri-Louis Pernod und der Absinth damit der Start für ein heute weltweit agierendes Unternehmen, bei dem mittlerweile andere Spirituosen wichtiger sind.
Der Absinth wird noch attraktiver, als bedingt durch die Reblaus-Katastrophe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich nicht nur der Wein, sondern auch Cognac und Armagnac knapp werden. Die große Nachfrage lockt Billigbrenner und Pfuscher auf den Plan, die Qualität wird immer schlechter. Als in der Schweiz ein Mann im angeblichen Absinth-Rausch seine Familie ermordet, ergeht bei den Eidgenossen 1910 ein Verbot des Absinths. Fünf Jahre später folgt das Verbot in Frankreich und Absinthismus gilt als krankhaftes Suchtverhalten. Das Thujon mit seiner verrückt machenden Wirkung, das übrigens ebenso in Salbei und Oregano vorkommt, muss auch wieder als Begründung herhalten.
Absinth: Was ist das eigentlich?
Manchmal drängt sich – so ungewöhnlich dies klingen mag – der Gin als naher Verwandter des Absinths auf. Nicht nur, dass beide mit Gin Craze und Absinthismus eine echte gesellschaftliche Krise ausgelöst haben, auch ihre Herstellung weist Parallelen auf. Beide haben ein essenzielles Botanical, das sie ausmacht. Was nämlich dem Gin der Wacholder, das ist dem Absinth der Wermut. Bei beiden Spirituosen ist der pflanzliche Stoff sogar namensgebend. Gemeinsam ist beiden auch, dass keine Frucht gebrannt wird, sondern der Alkohol auch neutral daherkommen kann. Bei den besseren Absinths gibt meist ein Weinbrand die Basis ab. Das Mazerieren und anschließende Brennen machen den Unterschied.
Einfacher Absinth, entsteht – wie ein Compound Gin – durch simples Mazerieren, sprich Einweichen, der Kräuter im Alkohol. Danach erfolgt nur noch die Filtration und die Spirituose kommt auf die Flasche. Guter Absinth setzt voraus, dass der aromatisierte Grundalkohol anschließend destilliert wird. Doch neben dem Wermut gehören unbedingt noch Anis und Fenchel in die Kräutermischung. Auffällig an der Spirituose ist zudem der hohe Gehalt an Alkohol. Bis zu 70 Prozent Alkoholvolumen und mehr lassen sich unter den einzelnen Vertretern finden. Unschwer zu erraten, warum einer von ihnen schlicht „Absinth 66“ heißt. Viel Alkohol ist erlaubt, dagegen gibt es einen Höchstwert für das berüchtigte Thujon. Mittlerweile weist ein Absinth per Gesetz maximal 35 Milligramm pro Liter auf. Also nix mit LSD und Ohr ab!
Absinth genießen: zuckersüßes Löffelchen
Kennen wir sie nicht alle, die Bilder und Filmszenen, in denen ein Absinth getrunken wird? Johnny Depp in „From Hell“ mit Zucker und Absinth-Löffel flimmert wohl bei den meisten vor dem inneren Auge auf. Dann gibt es auch die Gemälde mit abgestumpften Trinkern vor dem grün leuchtenden Glas. Aber wie wird die Kräuterspirituose nun eigentlich getrunken, oder gibt es zum Genuss der Grünen Fee auch wieder irgendwelche Mythen? Tatsächlich, der ganze Hokuspokus mit Anzünden eines Absinth getränkten Zuckerwürfels ist eher eine Unart, die als „böhmische Methode“ verschrien ist. Anzuwenden ausschließlich bei Absinth, dessen schrecklicher Geschmack mit karamelligem Effekt zu kaschieren ist.
Offensichtlich ist es, den Absinth mit Wasser zu verdünnen, denn solch hohe Volumenprozente sind dem Schmecken der Spirituose nicht förderlich. Zudem gehen nicht nur die Geschmacksnerven in die Knie, sondern früher oder später auch die Knie selbst. Klassisch ist das Mischungsverhältnis von drei Teilen Wasser auf einen Teil der Spirituose. Das Wasser bitte kalt, sogar eiskalt. Wer etwas Süße im Absinth braucht, kann dann auch seinen speziellen Löffel samt Zuckerwürfel zum Einsatz bringen. Aber noch einmal: bitte mit Wasser den Zuckerwürfel auflösen.
Die grüne Fee im Cocktail: die hohe Kunst
Intensive Kräuteraromen sind für einen Cocktail nicht einfach zu nehmen, Bitternoten hingegen sehr willkommen. Im klassischen „Corpse Reviver“ geht der Absinth in kleiner Dosierung perfekt auf. Für den Wiederbelebungseffekt sorgen zudem Gin, Triple Sec, Lillet Blanc, Zitronensaft und Zuckersirup. Aber man kann mit dem Absinth auch andere Spirituosen ersetzen und so dem Cocktail einen neuen Twist geben. Mein persönlicher Tipp ist der „My last Word“, bei dem man einfach den Chartreuse durch einen Absinth ersetze. Ansonsten kann man beim nächsten Bar-Besuch einfach den Profi fragen, wie er mit der grünen Fee im Cocktail umgeht.
Absinth für Besserwisser: Pastis als Ersatzspirituose
Das Verbot des Absinths zu Beginn des 20. Jahrhunderts hinterlässt eine leere Stelle: bei den Konsumenten und bei den Brennereien. Nun kommt noch einmal der Name Pernod ins Spiel. Dort lässt man den Wermut beiseite, holt Anis und Lakritze geschmacklich etwas hervor und nennt das Ganze Pastis. Kurzum, den Pastis gäbe es ohne das zwischenzeitliche Verbot des Absinths wohl gar nicht. Gleichwohl stehen beide Spirituosen in friedlicher Koexistenz im Bar-Regal. Verbote haben manchmal auch ihr Gutes!