Winter im Weinberg
Am 15. Dezember 2022 · von Sven ReinboldSelbst im Winter, wenn die Natur ruht, gibt es genug in Weinberg und Keller zu tun. Weinfreund Sven Reinbold hat für uns einen Blick auf den Arbeitsplan der Winzer geworfen.
Die Weinlese im Herbst ist für die Winzer die Hochsaison des Jahres, in der sie ununterbrochen gefordert sind: Den richtigen Lesezeitpunkt für die einzelnen Lagen und verschieden Rebsorten abpassen, Glück beim Wetter haben und schnell die Trauben in den Keller bekommen … Während dieser Wochen gibt es im Weinberg, aber auch im Keller Arbeit ohne Unterlass und zwar eine, die zudem keinen Aufschub duldet. Das stellt sich im Winter deutlich anders dar, mag man meinen. Die Reben genießen ihre Winterruhe und der neue Jahrgang reift geduldig im Keller.
Nicht ganz, denn sowohl Reben und Boden als auch der neue Wein im Keller verlangen nach des Winzers Aufmerksamkeit und Zuwendung. Wenn man so will, arbeiten die Winzer im Winter gleich an zwei Jahrgängen. Im Keller geht es nun um den Ausbau der jungen Weine, während die Weinreben und der Boden für den nächsten Jahrgang vorzubereiten sind. Ganz so beschaulich ist die kalte Jahreszeit für Weinbauern und Winzer also nicht.
Augen-Maß gefragt: Winter im Weinberg
Für die Reben und den Weinberg ist nach der Lese tatsächlich Erholung angesagt. Das Abschneiden der Trauben und das Herumtrampeln oder gar -fahren im Weingarten verursachen den Pflanzen nämlich regelrecht Stress. Zumeist wird daher der Boden zwischen den Rebreihen „umbrochen“, so nennt man das vorsichtige Pflügen, um ihn zu lockern und mit Luft zu versorgen. Einige Winzer setzen anschließend auf eine Winterbegrünung, um den Boden gegen Erosion zu schützen. Im Frühjahr wird die Begrünung wieder untergepflügt, um dann die Reben mit Nährstoffen zu versorgen. Ansonsten braucht der Weinberg jetzt etwas Niederschlag, den er klugerweise für das Frühjahr speichert, und durchaus etwas Kälte und Schnee, damit die Reben tatsächlich zur Ruhe kommen. Typischerweise steht diese Aufgabe für Dezember im Arbeitsplan und es ist kein Vergnügen bei diesem Wetter im Weinberg zu stehen.
Noch bevor der Frühling die Reben wieder austreiben lässt, ist im Januar und Februar praktische Qualitätssicherung gefragt. Die Reben werden nun beschnitten und damit festgelegt, wie viel „Augen“ an einer „Fruchtrute“ verbleiben. Aus den Augen wachsen dann die neuen Triebe, an denen sich die Trauben entwickeln. Anders ausgedrückt: Noch bevor die erste Knospe aufgeht, bestimmen die Winzer mit dem Beschnitt, ob sie eher auf Ertrag oder auf Qualität setzen. Je weniger Früchte die Rebe ausbildet, desto besser kann sie die Trauben versorgen. Die Ernte fällt folglich in der Menge geringer aus, dafür mit besserer Traubenqualität, das meint vor allem gesunde und voll ausgereifte, aromatische Beeren.
Talentschmiede: Was im Keller passiert
Aber auch im Keller sind im Winter Sachverstand und Erfahrung des Winzers gefragt. Im November und Dezember sind die Jungweine soweit, um den weiteren Ausbau vorzubereiten. Die alkoholische Gärung ist abgeschlossen, die Weine ruhen noch auf dem Hefelager. Jetzt stehen wichtige Weichenstellungen für die Stilistik des Weines an. Da heißt es immer wieder probieren und die einzelnen Chargen im Blick behalten. Bleibt der Wein doch noch etwas auf dem Hefelager? Setzt man bei Weißweinen auf die malolaktische Gärung, um etwas Säure abzubauen oder braucht dieser Jahrgang die Frische? Kommt der Wein nun in Stahltanks oder ins Holzfass? Allein diese Fragen verdeutlichen, dass während der augenscheinlich geruhsamen Winterszeit ganz entscheidende Dinge im Leben eines Weines geschehen.
Der Keller ist die Talentschmiede des Winzers, wo er während der kalten Jahreszeit nach neuen Stars und Entdeckungen Ausschau hält. Seine Aufgabe ist es, den Jüngsten die größte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und alles dafür zu tun, dass sie sich bestens entwickeln. Vielleicht denken wir mal daran, wenn wir dieser Tage bei einem Glas Wein die Gedanken schweifen lassen und uns das Bild eines winterlichen Weinbergs vor Augen tritt.